02 - Schatten-Götter
drangen Schreie und Waffengeklirr von den unteren Stockwerken zu ihnen herauf, aber ob die Maskierten sich einer Invasion erwehrten oder untereinander kämpften, vermochte er nicht zu erkennen.
Die Türen befanden sich genau dort, wo Suviel beschrieben hatte, in der äußeren Wand. Gilly blieb mit Alael an der Schwelle einer Tür stehen und starrte auf den merkwürdigen, felsigen Schutt, der etwa sechs Meter unter ihnen lag. Das war merkwürdig, denn von den anderen Fenstern dieses Stockwerks aus blickte man auf eine weite schneebedeckte Landschaft hinaus.
»Das muss es sein«, erklärte Gilly.
»Aber wie kommen wir hinunter?«, wollte Alael wissen.
Er zuckte mit den Schultern und trat auf den breiten Sims, der an der Außenseite entlangführte. Er bemerkte die Befestigungen eines großen, viereckigen Frieds zu seiner Linken und wich schnell wieder zurück. »Was ist?«
»An der Wand dort befindet sich eine Art Bastion«, erklärte er. »Ich sah Wachen auf ihren Wällen, also können wir diesen Weg nicht nehmen …«
»Vielleicht liegt auf der anderen Seite ja eine Treppe.« Noch während sie das sagte, setzte sie sich in Bewegung. Gilly schüttelte den Kopf und folgte ihr. Eigensinnige Frauen oder unerbittliche Göttinnen, dachte er. Macht das einen Unterschied?
Alael trat vor ihm durch eine der hohen Öffnungen auf den Sims hinaus und verschwand außer Sicht. Gilly seufzte und rief ihr nach.
»Alael, das hier ist ein gefährlicher Ort. Kommt zurück und wartet auf mich…«
Sie antwortete nicht, also trat er rasch durch die nächste Öffnung und sah, wie Alael eine breite Rampe hinunterlief, die bis hinunter zur äußeren Wand führte. Gereizt rannte er hinter ihr her, holte sie am Fuß der Rampe ein und wollte ihr gerade eine Hand auf die Schulter legen, als er im letzten Moment die schwache goldene Aura bemerkte, die sie umgab. Sie drehte sich um, sah ihn mit leuchtenden Augen an und schlug ihm fast beiläufig mit dem Handrücken ins Gesicht.
Der Schlag traf Gilly mit voller Wucht. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Kiefer, während er selbst zurückgeschleudert wurde und rücklings auf einem Sandhaufen landete. Er keuchte und ihm schwindelte, als er sich mühsam aufrichtete, vorsichtig seinen schmerzenden Kiefer betastete und verwirrt blinzelte. Alael war weiter gelaufen und steuerte auf einen staubigen, dämmrigen Spalt zu, der sich in einiger Entfernung vor ihnen auftat. Gilly spie den trockenen Staub aus, stand auf und schaute über die Schulter zum Fried zurück. Diese Bastion wirkte neben der glatten, beeindruckenden Perfektion der Festung von Keshada irgendwie klein und schäbig, und er konnte kein Anzeichen irgendeiner Aktivität darin feststellen.
»Also gut, Suviel«, murmelte er. »Ihr habt bedauerlicherweise nicht erwähnt, dass dieses Mädchen von der Erden-Mutter besessen sein könnte, aber wenn sie mich abhängt, muss ich mir sicher bis an mein Lebensende Eure Vorwürfe anhören, hm?«
Er lachte leise, riss die schwarze Maske herunter, die er seit Stunden trug, lockerte sein Schwert in der Scheide und marschierte ebenfalls in den Spalt hinab.
Byrnak ritt mit einem Heer, das nicht das seine war, durch verwüstete Eis- und Schneefelder, während in seinem Inneren die Leere brannte und seine Gedanken von Furcht umwölkt wurden. Vor ihm erhoben sich die langen, dunklen Mauern und hohen Tore von Keshada, und je näher sie rückten, desto mehr näherte sich der Augenblick, an dem er gefordert war, eine List zu ersinnen und sich einen Weg hinein zu erschleichen.
Nein, es ist keine Täuschung!, sagte er sich. Ich bin Byrnak, und sie kennen mein Gesicht… Mit Kapuzen verhüllte Reiter flankierten ihn, und einer lenkte sein Pferd ein wenig näher an ihn heran, bevor er seine Kapuze etwas zurückschob und ihn ansah. Byrnak erwiderte Suviel Hantikas Blick und spürte dabei Bardows Feindseligkeit von seiner anderen Seite.
»Ihr wisst, was Ihr zu tun habt?«, fragte Suviel. Ihre Lippen bewegten sich bei diesen geflüsterten Worten kaum, doch er hörte sie dennoch ganz deutlich. Ihre Stimme war in seiner Zelle zu ihm durchgedrungen, wo er hilflos dalag, während sein Bewusstsein von kreischenden Schreien des Schmerzes zerrissen wurde, es war diese Stimme, die ihm sanfte, magische Silben ins Bewusstsein tröpfelte, welche die Qualen blockierten, und ihm anschließend einen Handel anbot, der diese Barriere auf Dauer einrichten würde.
Er nickte. »Ich soll die Wachen dazu bringen, die Tore
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