02 - Schatten-Götter
…«
In seinen großen Klauen wirkte der Stab der Leere klein und zerbrechlich, doch im nächsten Moment schimmerte ein Licht durch die schwarze Kugel an seiner Spitze. Während Keren fasziniert die Transformation beobachtete, dachte sie über Orgraaleshenoths Worte nach und sprang plötzlich auf.
»Du meinst, wir müssen in die Domäne der Dämonenbrut flüchten«, erklärte sie. »Ins Reich der Ruinen.« »So ist es«, erwiderte Orgraaleshenoth ruhig. »Ich würde dir angesichts der Umstände dringend empfehlen, mich zu begleiten.«
Schreie und Gebrüll drangen vom anderen Ende des Gewölbes zu ihnen, als sich die Kämpfe aus dem Hehren Pfad in die Halle verlagerten, wo Gruppen von rotgekleideten Kriegern mit goldenen Masken und einige kreischende Nachtjäger mit fahlen Bildnissen von sich selbst rangen.
»Ich müsste eine Dämonenbrut werden.« Ihr Mund war plötzlich trocken. »Stimmt das?«
»Um dort zu überleben, ja. Aber es wäre nicht für immer«, fuhr er fort. »Du wärst nur Dämonengleich, nicht Dämonenbrut.«
Einer der Nachjäger hatte seine Angreifer vernichtet und flog jetzt mit einigen Reitern auf seinem Rücken durch die Halle direkt auf das Podest zu. Keren starrte die glühenden Funken im Stab der Leere an und ballte die Fäuste.
»Tu es!«
Der Stab strahlte ein gleißendes Licht aus, das sie umhüllte, wie große Hände aus Licht, die sie emporhoben. Sie konnte fühlen, wie ihre Gestalt begann, sich zu verändern.
26
Ich habe den grausamen Schatten gesehen,
Legionen aus der Erde.
Ich sah die Sterne sterben
Und Banner brennen in der verwelkenden Nacht.
Ich habe einen schwarzen Traum gesehen,
Der eine zerstörte Welt gebar…
WUJADS VISION, STANZA
Der Mann wartete an einer ganz bestimmten Stelle in dem Großen Gang. Er war groß, muskulös und trug eine lange, schwarze Robe, die vorne aufklaffte und den Blick auf seine prachtvolle, grüne Kleidung freigab. Die Robe hatte keine Ärmel und zeigte seine entblößten, muskulösen Arme. Die Miene seines bärtigen Gesichtes strahlte Ruhe aus, und er blickte sich teilnahmslos um.
An dieser Stelle war der Große Gang ein wenig schmaler als weiter im Süden. Die hohe, kurvige Wand war dieselbe, von dem Brunn-Quell gespeiste Barriere, und ihr blaugrünes Leuchten erzeugte ein dumpfes Licht, so als wogten die ruhelosen Tiefen des Ozeans dahinter, statt Erde und die Eingeweide des Kontinents. Es war kalt in diesem Tunnel, doch der Mann, der einst Nerek und Ystregul gewesen war, wartete geduldig und ungerührt. Winzige glühende Punkte tauchten im Norden des Großen Ganges auf, das Licht von Lampen, das stetig näher kam. Kurze Zeit später tauchte eine gewaltige Kolonne von Reitern im Galopp auf. Sie ritten mit einem Dutzend Pferden nebeneinander und der Heereswurm erstreckte sich bis in die dunklen Fernen. Laternenträger flankierten die Kolonne, an deren Spitze eine Gruppe von Männern in schweren Roben ritt. Einige trugen seidene, flatternde Banner. Die ersten sahen den einsamen Mann mitten im Gang stehen, die Hände auf die Hüften gestützt. Er sah ihnen gelassen entgegen.
Als deutlich wurde, dass er keine Anstalten machte, aus dem Weg zu treten, hoben die ersten die Hände und riefen Befehle, die von den Wänden des Ganges zurückgeworfen wurden. In einem ohrenbetäubenden Lärm aus donnernden Hufen, Schreien und klappernden Rüstungen kamen die Reiter kaum ein Dutzend Schritte vor dem Mann zum Stehen. Einer der in Roben gekleideten Männer preschte vor, während er sein lebhaftes Ross unter Kontrolle zu halten suchte. Sein markantes, hageres Gesicht war wutverzerrt.
»Aus dem Weg, Elender! Du hältst den Vormarsch des großen, mächtigen Schattenkönigs Thraelor auf…!« Der Mann, der einst Nerek und Yasgur gewesen war, sah an dem Reiter vorbei auf seine Gefährten, die alle das gleiche Gesicht hatten. Er lächelte spöttisch, was den Reiter noch mehr erzürnte.
»Willst du uns verhöhnen?«, bellte er. »Im Namen meines Gebieters, ich werde deinen Kopf…« Als er sein Schwert aus der Scheide am Sattel zog, traf ihn ein harter Blick aus den schwarzen Augen des anderen. Im nächsten Moment flog der Reiter rücklings von seinem Ross und landete ungelenk auf einer Schulter. Das erzürnte seine Gefährten, und jene, die eine Hand frei hatten, erhoben sie, umhüllt von smaragdgrünem Feuer. Bevor sie ihn jedoch vernichten konnten, teilte sich ihre Gruppe und ein anderer Reiter trabte vor. Es war der Schattenkönig Thraelor selbst.
»Ein
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