02 - Schatten-Götter
einzelner Mann?«, sagte er heiser. »Solltest du auch einer dieser Meuchelmörder sein, dann wisse, dass ich einen von euch bereits erledigt habe, bevor ich Casall verließ, und mein Bruder Grazaan foltert gerade den anderen …« Thraelors Gesicht war eingefallen und sein Schädel sah aus wie ein Totenkopf. Er betrachtete aufmerksam den schweigenden Mann, der vor ihm stand. »Hmm, du siehst nicht aus wie einer von denen. Hast du mir etwas zu sagen, bevor wir deinen elenden Leib in den Boden stampfen?«
Der Mann richtete seinen Blick auf ihn, und Thraelor erbleichte.
»Was für eine Macht besitzt du?«, fuhr er ihn an. »Du bist wohl einer dieser Magierhunde und hast ein Artefakt in der Tasche?« Er wendete sich zu seinen Gefährten um. »Vernichtet ihn für mich!«
Grünflammende Hände zuckten hoch, und ihr Feuer gewann rasch an Intensität, doch mit einer kurzen, ausholenden Geste löschte der Schweigende die Flammen, als würde er eine Kerze ausblasen. Alles Leben erlosch in den Gesichtern der Männer, und sie stürzten aus den Sätteln, tot, noch bevor sie auf dem Boden des Großen Ganges aufschlugen. Der Mann wiederholte die ausholende Geste, diesmal jedoch etwas kräftiger, und ein Orkan rauschte durch den Tunnel. Pferde wurden zu Boden geworfen, Reiter aus den Sätteln gerissen, während Masken, Satteltaschen, Fahnen und Kleidungsstücke in den Sog gerieten und umherwirbelten. Siebzig Meter weit nach Norden verwandelte sich der Große Gang in einen Ort der Verwüstung, Thraelor saß derweil von alledem unberührt auf seinem Ross. Sein Gesicht war erschlafft, seine Augen glanzlos, als sich jetzt ein anderes Antlitz wie eine transparente Maske darüber legte, geisterhaft und feuerrot. Der Mann, der einst Nerek und Ystregul gewesen war, trat näher, und der so maskierte Thraelor stieg von seinem Ross herunter.
»Endlich«, sagte die feuerrote Maske. »Dieser hier hat mich auf jedem Schritt des Weges bekämpft, und ich würde ihn gern für immer los.«
»Vereinigen wir uns«, erwiderte der andere. »Großes erwartet uns.«
Die Gewänder verbrannten zu Asche, als sich die Gesichtszüge vermischte, während die beiden Gestalten verschmolzen. Die Vereinigung nahm nur Sekunden in Anspruch, und als sie vollendet war, stand nur noch eine Person in der Mitte des Großen Ganges. Sie war nun größer als vorher und auch anders, nüchterner gewandet. Sie trug eine kragen- und ärmellose Robe aus dunklem Rot über einem einfachen schwarzen Hemd, einer Hose und an den Füßen offene Sandalen.
Einige Reiter in den vorderen Reihen hatten die Verwandlung mitangesehen, und ein paar Sergeanten knieten sich ehrfürchtig und furchtsam vor der Gestalt nieder. »Mein Gebieter«, sagte einer und schluckte schwer hinter seiner schwarzen Ledermaske. »Ist unser Herr … tot?« »Nein. Denn er ist jetzt ein Teil von mir.«
Die Sergeanten verständigten sich mit einem kurzen Blick.
»Dann nehmt unsere Loyalität an, Erhabener«, fuhr ihr Sprecher fort. »Mit welchem Namen dürfen wir Euch ansprechen?«
»Ich werde zu gegebener Zeit meinen angestammten Namen fuhren. Bis dahin dürft Ihr mich Herr der Schatten nennen, nichts weiter.«
»Wie lauten Eure Befehle, Herr der Schatten?«
»Wir reiten nach Norden, nach Rauthaz«, erwiderte der Herr der Schatten, »und besuchen meinem Bruder Grazaan.«
»Einst war er von edler Gesinnung«, sagte Alael mit einer Stimme, bei der es Gilly eiskalt überlief. »Aber der Neid begann sein Herz zu beherrschen, und so wurde er zum Feind allen Lebens, zu einem Dunklen Dämon. Schon bald wird sein finsterer Feldzug zum Ende kommen, dann vollende ich meine Rache …« Sie machte eine Pause, holte bebend Luft und sprach dann in ihrer eigenen Stimme weiter. »Oh, bitte, bitte, lasst mich allein, ich flehe Euch an …!«
Sie weinte leise, und Gilly sah sich kopfschüttelnd in dem Vorratsraum um, in den sie sich geflüchtet hatten, und dessen Tür von einem Vorhang versperrt wurde, und überdachte kurz ihre Lage.
Er hatte im Konferenzraum belauscht, wo Alael gefangen gehalten wurde, doch es kostete ihn viel Zeit, den Raum zu finden und hineinzugelangen. Seit er sich von Ikarno Mazaret getrennt hatte, schien die Verwirrung in der Zitadelle von Keshada um sich zu greifen. Er hörte Schreie und sah Soldaten, die aufgeregt durcheinander liefen. Einige Bewaffnete rannten an seinem Versteck vorbei, und er schnappte ihre Bemerkungen von einer angeblichen Auseinandersetzung zwischen ihren Meistern auf, von
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