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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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an einer offenen Tür stehen, die in einen kleinen, L-förmigen Raum führte. Er bat Alael zu warten und verschwand durch eine andere Tür. Einen Moment später tauchte er wieder auf und winkte sie heran. »Baas Melgro Onsivar, Meister der Sprachen, wird Euch jetzt empfangen«, sagte er und stieß die Tür weit auf. Alael trat in einen hohen Raum, der von Buchregalen dominiert wurde, die sowohl frei standen als auch an die Wände montiert waren. Sie folgte einem Gang zwischen den Regalen und gelangte in die hintere Hälfte des Raumes, die geräumig und den Bedürfnissen eines Gelehrten gemäß möbliert war. An einer Sei te stand ein ovaler Tisch, auf dem sich Unterlagen und Karten stapelten, während ein großer, mit aufwendigen Schnitzereien verzierter Schreibtisch den übrigen Raum beherrschte. Dort waren einige Stühle gruppiert, hinter denen ein hölzernes Geländer ein schmales Podium abgrenzte, auf das mehrere Stufen führten. »Hier drüben, ehm …junge Lady, ja …«
    Baas Melgro Onsivar, Meister der Sprachen, war ein alter Mann von hagerer Gestalt. Sein schlohweißes Haar war bereits so dünn, dass sein rundlicher Schädel deutlich zu sehen war. Er trug ein blassgraues, gelbblau gesäumtes Gewand und saß auf einem hohen Stuhl hinter einem ausladenden, mit Papieren übersäten Schreibtisch. Das Fenster in seinem Rücken führte nach Westen hinaus. Er schaute flüchtig von einem kleinen weißen Buch hoch und deutete auf einen hölzernen Stuhl vor dem Schreibtisch, auf dem sich Alael gehorsam niederließ. Irgendwie erinnerte sie der Meister an einen großen, grauen Vogel, der auf seiner Stange hockte, aber sie verscheuchte diesen Gedanken tunlichst.
    Endlich schloss Onsivar das Buch und legte es behutsam auf die Schreibtischplatte. »Also … der junge Bardow hat Euch geschickt, hm? Es scheint, als hättet Ihr eine Passage aus einem Buch, die einer Übersetzung bedarf.« »Ja, Baas Onsivar.« Alael nahm das Buch heraus, das Keren ihr gegeben hatte, und öffnete es an der betreffenden Stelle. »Eine Freundin hat mich gebeten, dies von einem Gelehrten wie Euch prüfen zu lassen. Mehr weiß ich darüber nicht.«
    Sie reichte ihm das Buch. Onsivar nahm es entgegen, sah dabei jedoch Alael unverwandt an. »Süd-Cabringa«, murmelte er. »Vermutlich Adnagaur, aber in Eurer Aussprache finden sich auch Spuren von Mantinor… Trifft das zu?«
    Alael nickte beeindruckt. »Ich wurde in Adnagaur erzogen, aber meine Mutter kam aus Tymora an der Küste Mantinors.«
    Der Meister der Sprachen sog befriedigt die Luft durch die Nase und richtete seine Aufmerksamkeit auf Alaels Buch. »Mal sehen, was Ihr hier habt. Hm, scheint uraltes Othazi zu sein, wenn ich auch den Dialekt nicht genau bestimmen kann. Vermutlich ist es ein nördlicher Dialekt, und vermutlich auch entstellt. Aber diese Schrift…« Er strich sich das Kinn und sah Alael an. »Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich bei diesem Buch um ein Original handelt?«
    »Das weiß ich nicht«, gab Alael zu.
    Onsivar runzelte die Stirn, brummte etwas Unverständliches, und schaute dann erneut in das aufgeschlagene Buch. Das Schweigen dehnte sich, bis Alael der Geduldsfaden riss und sie nicht länger still bleiben konnte. »Also, Baas Onsivar, vermögt Ihr diese Passage nun zu übersetzen?«
    »Ja, Mylady, obwohl ich lieber das Original zu Rate gezogen hätte …« Er tippte auf die offenen Seiten. »Dies hier ist bedauerlicherweise eine Kopie.«
    »Wird das Eure Fertigkeiten beeinträchtigen, Baas?«
    Buschige Brauen zuckten über durchdringende Augen. »Nicht im Geringsten, obwohl ich das Exemplar hier behalten muss, falls Ihr keine Einwände habt, Mylady.«
    »Ich habe bereits eine Kopie des alten Sagenliedes anfertigen lassen«, erwiderte sie. »Also könnt Ihr das Buch tatsächlich eine Weile behalten. Wie lange werdet Ihr für die Übersetzung benötigen?«
    »Vier, vielleicht auch fünf Tage«, erwiderte Onsivar. »Die Othazi-Lexika, über die wir hier verfügen, beziehen sich nur auf die gebräuchliche Sprache. Deshalb muss ich Anfragen an zwei private Bibliotheken in Besh-Darok richten, in der Hoffnung, dass eine von ihnen ein Lexikon des Dialekts besitzt, das ich benötige. Sollte ich mich jedoch an Bibliotheken außerhalb der Stadt wenden müssen, könnte es sogar zehn oder mehr Tage dauern.« Er schloss das Buch der Lieder, und nahm sein kleines, weißes Buch wieder in die Hand. »Seid versichert, Mylady, dass ich Euch über meine Fortschritte in dieser

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