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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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Umgebung, allerdings mit den Augen der Blinden Rina, in deren Blick alles verschwommen und dunkel war, als läge ein Schleier von Dämmerung darüber. Die Farben waren subtiler und mit einem zarten, metallischen Glanz versehen, der die hölzernen Pfeiler der Brücke kupfern aussehen ließ. Die Bäume und Büsche waren wie mit Grünspan überzogen, und Wellen aus Perlmutt rieselten über den Fluss. Eine Bewegung auf der Falkenbrücke hatte das Interesse der Blinden Rina geweckt. Es war eine Reihe von Reitern, die von der Altstadt aus den Olodar überquerte.
    Unvermittelt wurde Nereks Blickwinkel von einer kleinen Gestalt angezogen, die auf einer der oberen Säulen der Brücke hockte. Im nächsten Moment schwindelte ihr, als sie sich selbst in die Luft zu erheben schien. Ihre Sicht schwankte bei jedem Flügelschlag. Sie sah nun mit den Augen des Vogels. Dann spreizte der Vogel die Schwingen im Gleitflug und schwenkte unmittelbar vor den ersten Reitern ab. Trotz der verzerrten Sicht des Vogelauges konnte Nerek Lordregent Mazaret, angetan mit Kettenpanzer und Pelz, eindeutig erkennen. Sein langes, gefurchtes Gesicht zeigte keinerlei Regung, als er mit der Kolonne von Reitern in Richtung der Eisen-Kaserne ritt.
    Das Bild flackerte und verschwamm vor ihren Augen, sie fühlte sich benommen und rang nach Luft, als die Perspektive sich veränderte und ihre alte Umgebung Form annahm. Sie saß wieder auf der kalten, harten Steinbank neben der Blinden Rina, die sie lächelnd beobachtete. Ihre nackten Hände hatte sie verschränkt, und die kleine Fahne stand auf der Mauer …
    »Hm, vielleicht war es noch ein bisschen zu früh für das Tierauge«, meinte die Blinde Rina. »Dennoch war es eine nützliche Erfahrung, denke ich…«
    »Das war doch Ikarno Mazaret an der Spitze dieser Ritter«, meinte Nerek.
    »Ja, und es waren Ritter vom Orden der Wacht«, meinte die Blinde Rina nachdenklich.
    Nerek beobachtete sie und überlegte, wie viel sie wohl wusste. »Er kehrt vielleicht wieder nach Zentral-Khatris zurück.«
    Rina schüttelte den Kopf. »Er hatte weder Packpferde noch Proviantkarren dabei. Vielleicht beabsichtigt er ja, Manöver durchzuführen, aber es wäre dennoch klug, den Erzmagier darüber zu informieren. Ich habe das Gefühl…«Ihre Stimme wurde leiser, bis sie schließlich ganz verstummte. Einen Moment später schüttelte sie sich und lachte leise. »Er war überrascht. Und auch dankbar.«
    »Ich könnte zum Palast zurückkehren«, schlug Nerek vor und wollte aufstehen. Aber die Blinde Rina beugte sich vor und schob sie sanft wieder zurück. Dann klopfte sie ihr aufmunternd auf den Arm.
    »Das ist nicht nötig«, versicherte sie ihr. »Bardow hat darum gebeten, dass du bei mir bleibst und diese Lektion beendest. Er hat sogar darauf bestanden.«
    Nerek ließ niedergeschlagen die Schultern hängen.
    »Du hegst Zweifel an deiner Nützlichkeit«, vermutete die Blinde Rina.
    »Das sind keine bloßen Zweifel. Ich weiß genau, dass ich nicht von großem Nutzen bin.«
    »Wenn das so wäre«, versetzte die Blinde Rina, »würde sich Bardow nicht um dich kümmern, und du würdest hier allein sitzen und mit den Vögeln reden!« Sie beugte sich zu der jüngeren Frau vor. »Du hast schon viel erreicht, indem du die Fesseln deiner eigenen Täuschungen abgeworfen hast. Doch es gibt noch mehr, was du tun kannst.« Nerek richtete sich auf, als sie den scharfen Tonfall hörte. Sie war plötzlich wütend auf sich selbst. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen, dachte sie. Bardow und Alael verlassen sich auf mich.
    »Sollen wir fortfahren?«, erkundigte sich die Blinde Rina.
    »Ja«, antwortete Nerek.
    »Gut. Also, wir haben die Feder und die Flamme, zu denen jetzt das letzte Element hinzugefügt werden muss, eine Schneeflocke …«
    Auf dem vom Schnee geräumten Dach des Nachtfrieds standen Tauric und ein Dutzend seiner Gefährten vor dem kauernden Priester, der sehr genau zuhörte, während sie gemeinsam die Anbetungen des Himmelspferdes sangen. Auf Geheiß des Priesters hatten sie ihre dicken Mäntel und gefütterten Wämser abgelegt, und knieten auf den eiskalten Steinplatten, während sie mit festen, aber leisen Stimmen sangen, weil sie keine Aufmerksamkeit erregen wollten.
    Tauric zitterte am ganzen Körper. Die Eiseskälte kroch seine Beine hinauf, sank in seine Finger und Zehen und drang bis in seine Knochen. Trotzdem empfand er Frieden und ein Gefühl des eigenen Wertes, etwas, an dem es ihm schon seit langem gemangelt hatte. Seine

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