02 Titan
schrie, dass er wisse, was man mit ihm vorhabe.
»Ich habe nur eine kurze Verabredung«, sagte Sura ruhig.
»Es dauert nicht lange. Geh nach Hause, und kümmere dich um deine Mutter. Sie hat deine Hilfe jetzt nötiger als ich.«
Antonius heulte vor Kummer und Zorn laut auf und streckte die Hand aus, um Sura noch einmal zu berühren, wurde aber sofort von den Liktoren zurückgestoßen. Wir ließen ihn stehen, gingen durch die Gasse der Soldaten die Stufen hinauf und duckten uns in einen niedrigen, von dicken Mauern gesäumten tunnelgleichen Gang, der in eine fensterlose runde Kammer mündete, die von Fackeln erleuchtet war. Die drückende Luft stank widerlich nach Tod und menschlichen Exkrementen. Als meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, erkannte ich Catulus, Piso, Torquatus und Lepidus, die sich den Saum ihrer Togen auf die Nase drückten, sowie die gedrungene, breite Gestalt des amtlichen Scharfrichters in seiner Lederschürze, neben dem ein halbes Dutzend seiner Helfer standen. Die anderen Gefangenen lagen schon mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden. Capito, der den Tag bei Crassus verbracht hatte, weinte leise. Statilius, der in Caesars offiziellem Amtssitz festgehalten worden war, hatte sich mit Wein bewusstlos getrunken. Caeparius lag mit geschlossenen Augen zusammengerollt da und hatte mit der Welt schon abgeschlossen. Cethegus protestierte lauthals und verlangte das Recht, den Senat anrufen zu dürfen. Jemand trat ihm in die Rippen, worauf er verstummte. Der Scharfrichter packte Suras Arme und band sie an Handgelenk und Ellbogen zusammen.
»Konsul«, sagte Sura, während er sich unter den geschickten Händen des Scharfrichters wand, »gibst du mir dein Wort, dass meiner Frau und Familie kein Leid geschieht?«
»Ja, das verspreche ich.«
»Und sorgst du dafür, dass man unsere Leichen unseren Familien zur Bestattung übergibt?«
»Ja, das werde ich.« (Später sollte Marcus Antonius behaupten,
dass Cicero ihm diesen letzten Wunsch verwehrt habe: eine weitere seiner zahllosen Lügen.)
Augenblicke später war Sura gefesselt und schaute sich noch einmal um. »Ich sterbe als römischer Edelmann«, rief er trotzig. »Und als Patriot.«
Das war selbst Cicero zu viel. »Nein«, sagte er schroff. »Du stirbst als Verräter.«
Dann wurde Sura zu dem großen schwarzen Loch gezerrt, das sich im Boden in der Mitte der Kammer befand und das der einzige Zugang zu der unter uns liegenden Hinrichtungskammer war. Zwei kräftige Helfer des Scharfrichters hoben ihn in das Loch hinunter, und im Schein der Fackeln sah ich zum letzten Mal sein hübsches, verdutztes und dummes Gesicht. Dann mussten ihn von unten andere kräftige Hände gepackt haben, plötzlich war nämlich nichts mehr von ihm zu sehen. Sofort danach verschwand auch Statilius’ schlaffe Gestalt in der Öffnung; dann war Capito an der Reihe, der so zitterte, dass ihm die Zähne klapperten; dann der vor Entsetzen betäubte Caeparius und schließlich Cethegus, der schrie und schluchzte und so um sich trat, dass zwei Männer sich auf ihn setzen und ein dritter ihm die Beine zusammenbinden musste. Als sie damit fertig waren, stießen sie ihn kopfüber in das Loch. Nach dem Aufprall seines Körpers war nur noch ein gelegentliches Scharren zu hören, und auch das verstummte schließlich. Später erzählte man mir, dass die Verurteilten dann an nebeneinander in der Decke eingelassenen Haken aufgehängt worden waren. Nach einer Ewigkeit, so kam es mir zumindest vor, rief der Scharfrichter nach oben, dass alles erledigt sei, worauf Cicero widerstrebend an den Rand des Lochs trat und nach unten schaute. Jemand schwenkte eine Fackel über die Hingerichteten. Die fünf erdrosselten Männer lagen nebeneinander auf dem Boden und starrten mit vorquellenden, blinden Augen zu uns hoch. Ich fühlte kein Mitleid: Ich musste an
die verstümmelte Leiche des Jungen denken, das Menschenopfer, mit dem sie ihren Pakt besiegelt hatten. Cato hatte Recht, ging es mir durch den Kopf: Sie hatten den Tod verdient, und der Meinung bin ich auch heute noch.
Sobald er sich vom Tod der Verschwörer überzeugt hatte, konnte es Cicero gar nicht erwarten, so schnell wie möglich diesem »Vorraum zur Unterwelt«, wie er ihn später nannte, zu entkommen. Wir quetschten uns durch den engen tunnelartigen Gang und hasteten hinaus in die frische Nachtluft – wo uns ein höchst verblüffender Anblick erwartete. Das gesamte Forum war von Fackeln erleuchtet, ein großer
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