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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Teppich aus in der Abenddämmerung flackernden gelben Punkten. In welche Richtung man auch schaute, überall standen Menschen, reglos und stumm, einschließlich aller Senatoren, die inzwischen den neben dem Gefängnis liegenden Tempel der Concordia verlassen hatten. Alle schauten Cicero an. Es lag auf der Hand, dass er verkünden musste, was geschehen war, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie die Menschen reagieren würden. Und er sah sich noch einer weiteren Schwierigkeit gegenüber, deren Besonderheit den beispiellosen Charakter des gerade Geschehenen verdeutlichte: In jenen Tagen herrschte der Aberglaube, dass ein Amtsträger, wollte er nicht Unheil über die Stadt bringen, auf dem Forum niemals Worte in Zusammenhang mit »Tod« oder »sterben« aussprechen durfte. Cicero dachte also kurz nach, räusperte sich – es schien, als ob er dadurch von dem Gefühl der Beklemmung, das ihn in der Hinrichtungskammer ergriffen hatte, befreit worden wäre –, straffte die Schultern und verkündete mit sehr lauter Stimme: »Sie haben gelebt!«
    Seine Stimme hallte von den Gebäuden wider, und seinen Worten folgte eine so durchdringende Stille, dass ich schon fürchtete, die Menge würde die Nachricht unfreundlich aufnehmen und uns als Nächste aufhängen wollen. Aber
ich schätze, sie haben nur erst verstehen müssen, was er überhaupt meinte. Ein paar Senatoren fingen an zu klatschen. Andere fielen ein. Das Klatschen ging in Jubel über, der nach und nach die gewaltige Menschenmenge erfasste. »Heil dir, Cicero!«, riefen sie. »Heil dir, Cicero!« – »Dankt den Göttern für Cicero!« – »Cicero, Retter der Republik!«
    Ich stand neben ihm und sah, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Es war, als wäre ein Damm gebrochen und alle aufgestauten Emotionen, nicht nur der letzten Stunden, sondern des gesamten Konsulats, brächen nun plötzlich hervor. Er versuchte etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus, was den Jubelsturm nur noch verstärkte. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als die Stufen zum Forum hinunterzugehen. Als er unter dem Jubel von Freunden wie Gegnern unten ankam, weinte er hemmungslos. Hinter uns wurden an Haken die Leichen der Hingerichteten aus dem Gefängnis geschleift.

    Die Geschichte der letzten Tage Ciceros als Konsul sind schnell erzählt. Keine Zivilperson in der Geschichte der Republik ist jemals so gepriesen worden wie er zu jener Zeit. Es schien, als stieße die Stadt nach Monaten des Luftanhaltens einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Am Abend der Hinrichtung der Verschwörer wurde der Konsul vom gesamten Senat in einer riesigen Fackelprozession nach Hause geleitet und dabei den ganzen Weg bejubelt. Sein Haus war zur Begrüßung prachtvoll erleuchtet, an der mit Lorbeer geschmückten Eingangstür warteten Terentia und die Kinder, seine Sklaven hatten Aufstellung genommen und begleiteten ihn applaudierend ins Atrium. Es war eine seltsame Heimkehr: Er war zu erschöpft zum Schlafen, zu hungrig zum Essen, zu begierig darauf, das schreckliche Erlebnis
der Hinrichtungen zu vergessen, als dass er über etwas anderes hätte reden können. Ich nahm an, dass er ein, zwei Tage brauchen würde, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Erst später begriff ich, dass sich etwas in seinem Innern für immer verändert hatte: Es war gebrochen wie eine Achse. Am nächsten Morgen verlieh ihm der Senat den Ehrentitel »Vater des Vaterlandes«. Caesar zog es vor, dieser Sitzung nicht beizuwohnen, dafür kam Crassus, stimmte mit dem Rest und lobte Cicero in den Himmel.
    Allerdings stimmte nicht jeder in den Beifall ein. Metellus Nepos, der wenige Tage später sein Amt als Volkstribun antrat, beharrte weiter darauf, dass die Hinrichtungen rechtswidrig gewesen seien. Wenn Pompeius erst wieder in Italien sei, um für Ordnung zu sorgen, so sagte er voraus, werde sich dieser nicht nur um Catilina kümmern, sondern sich auch diesen zweitklassigen Tyrannen Cicero vorknöpfen. Trotz seiner enormen Popularität war Cicero immerhin so besorgt, dass er Clodia aufsuchte und sie bat, ihrem Schwager vertraulich mitzuteilen, sollte er weiter diesen Kurs steuern, werde er Untersuchungen wegen dessen eigener Verbindungen zu Catilina einleiten. Clodias braun schimmernde Augen leuchteten auf, sie war entzückt über die Gelegenheit, sich in Staatsgeschäfte einmischen zu können. Aber Nepos ließ die Warnung kühl abblitzen, wobei er zu Recht darauf setzte, dass Cicero es nie wagen würde, gegen

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