02 Titan
man undeutlich die Rückseite von Caesars offiziellem Amtssitz sehen. »Schließlich habe ich es doch geschafft«, sagte Cicero und lächelte. »Ich habe ein besseres Haus als er.«
Die Zeremonie der Bona Dea fiel wie üblich auf den vierten Tag des Dezembers. Sie fand genau ein Jahr nach der Verhaftung der Verschwörer und nur eine Woche nach unserem Einzug in das neue Haus statt. Cicero hatte keine Termine bei Gericht, und die Tagesordnung für die Senatssitzung verhieß nur Langeweile. Er sagte mir, dass wir ausnahmsweise nicht in die Stadt gingen. Stattdessen würden wir an seinen Memoiren arbeiten.
Er hatte beschlossen, eine Version seiner Autobiografie auf Latein zu schreiben, für den Normalleser, und eine auf Griechisch, für eine begrenzte Leserschaft. Zudem versuchte er einen Dichter dafür zu gewinnen, seine Amtszeit als Konsul in ein Versepos zu gießen. Seine erste Wahl, Archias, der eine ähnliche Arbeit für Lucullus übernommen hatte, reagierte zurückhaltend, er sei mit sechzig schon zu alt, um einem derart gewaltigen Stoff gerecht werden zu können. Ciceros bevorzugte Alternative, der gerade sehr moderne Thyllius, antwortete bescheiden, seine spärlichen Fähigkeiten als Versdichter seien der Aufgabe schlicht nicht gewachsen. »Dichter!«, grummelte Cicero. »Warum stellen die sich so an? Die Geschichte meines Konsulats ist doch geradezu ein Geschenk für jeden, der auch nur einen Funken Fantasie besitzt. Sieht ganz so aus«, sagte er düster und fuhr mit den furchterregenden Worten fort, »als ob ich das Versepos selbst schreiben müsste.«
»Ich weiß nicht, ob das ein so kluger Gedanke ist«, erwiderte ich.
»Wie meinst du das?«
Ich merkte, wie mir der Schweiß ausbrach. »Nun ja, schließlich hat sogar Achilles seinen Homer gebraucht. Seine Geschichte hätte möglicherweise nicht die gleiche … wie soll ich sagen? … die gleiche epische Wucht gehabt, wenn er sie aus seinem Blickwinkel erzählt hätte.«
»Die Lösung dafür ist mir letzte Nacht im Bett eingefallen. Die Götter werden meine Geschichte erzählen, abwechselnd, wenn sie mich als einen der Unsterblichen auf dem Berg Olymp willkommen heißen und dabei die Stationen meiner Laufbahn noch einmal nachzeichnen.« Er sprang auf und räusperte sich. »Pass auf, ich zeig dir, was ich meine:
Entrissen deinen Studien schon in frühester Jugend, wurdest du gerufen, zu dienen deinem Land,
Wurdest hineingeworfen ins Kampfgetümmel, dich zu bewähren im öffentlichen Amt,
Doch wenn du abstreiftest die Fesseln der Ängste und Sorgen, die bedrängten dein Herz,
In Stunden, die die Geschäfte des Staates zur Muße dir ließen, so verschriebst du dich uns und den Wonnen des Wissens …«
Bei allen Göttern, es war nicht zu ertragen! Die Götter müssen geweint haben, als sie das hörten. Aber wenn Cicero richtig in Fahrt kam, dann schichtete er Vers auf Vers so schnell auf, wie ein Maurer eine Wand hochzog. Dreivier-, ja fünfhundert Zeilen am Tag schaffte er wie nichts. Er schritt in der geräumigen Bibliothek auf und ab, schlüpfte in die Rollen von Jupiter, Minerva und Urania, und die Worte sprudelten aus ihm heraus, dass ich sogar in Kurzschrift
kaum mit dem Schreiben nachkam. Als schließlich auf Zehenspitzen Sositheus hereinschlich und sagte, dass Clodius draußen warte, war ich – ich gebe es zu – höchst erleichtert. Inzwischen war es schon später Vormittag, mindestens die sechste Stunde, aber Cicero war von seiner Inspiration derart beseelt, dass er seinen Besucher fast wieder weggejagt hätte. Er wusste jedoch, dass Clodius wahrscheinlich eine saftige neue Klatschgeschichte für ihn hatte, und so setzte sich die Neugier durch. Er wies Sositheus an, ihn hereinzuführen, und kurz darauf betrat Clodius mit federnden Schritten die Bibliothek. Seine goldenen Locken waren elegant frisiert, der Spitzbart getrimmt, und den bronzefarbenen Körper umwehte der Duft von Krokusöl. Er war jetzt dreißig Jahre alt und ein verheirateter Mann, nachdem er im Sommer, etwa zur gleichen Zeit, als er in ein öffentliches Amt gewählt wurde, die fünfzehnjährige Erbin Fulvia geehelicht hatte. Nicht dass das Eheleben ihn sonderlich einschränkte. Während Fulvia an den meisten Abenden allein in dem großen Haus auf dem Palatin saß, das ihre Mitgift gewesen war, machte er auch weiterhin auf seine großmäulige Art die Tavernen in Subura unsicher.
»Pikante Neuigkeiten«, verkündete Clodius. Er hielt einen seiner makellos manikürten
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