02 Titan
gewartet, denn bei den Beratungen im kleinsten Kreis wurde als Letzter stets ich um meine Meinung gefragt, weshalb ich auch immer versuchte, einen Beitrag parat zu haben. »Wenn man auf Caesars Vorschlag einginge, könnte man möglicherweise für das Gesetz ein paar Zugeständnisse herausholen. Die kann man dann den Patriziern als Sieg verkaufen.«
»Und wenn sie die ablehnen«, sinnierte Cicero, »dann läge die Verantwortung bei ihnen, und ich wäre von meiner Verpflichtung entbunden. Keine schlechte Idee.«
»Schlaue Worte, Tiro«, erklärte Quintus. »Immer wieder der klügste Kopf in der Runde.« Er gähnte ausgiebig. »Also los, Bruder, auf!« Er bückte sich, packte Ciceros Hände und zog ihn hoch. »Es ist spät, du hast morgen eine Rede zu halten. Du brauchst Schlaf.«
Als wir zur Vorhalle gingen, lag das Haus still da. Terentia und Tullia hatten sich schon schlafen gelegt. Servius und seine Frau waren nach Hause gefahren. Laut Türwächter zusammen mit Pomponia, die Politik nicht ausstehen konnte und sich geweigert hatte, auf ihren Mann zu warten. Vor der Tür stand Atticus’ Wagen. Der Schnee glänzte im Mondlicht. Von unten aus der Stadt drang der vertraute Ruf des Nachtwächters herauf, der die Mitternachtsstunde ausrief.
»Ein neues Jahr«, sagte Quintus.
»Und ein neuer Konsul«, fügte Atticus hinzu. »Gut gemacht, mein lieber Cicero. Ich bin stolz darauf, dein Freund zu sein.«
Sie schüttelten Cicero die Hand und klopften ihm auf die Schulter, wozu sich dann auch Rufus durchrang – widerwillig, wie ich zu bemerken nicht umhinkam. Ihre herzlichen Glückwünsche drangen kurz durch die eiskalte Luft und verhallten dann. Cicero stand auf der Straße und winkte dem Wagen hinterher, bis er um die Ecke gebogen war. Als er sich umdrehte, um wieder ins Haus zu gehen, stolperte er und trat mit dem Schuh in eine kleine Schneewehe, die sich vor der Stufe am Eingang gebildet hatte. Fluchend zog er den nassen Schuh aus dem Schnee und schüttelte ihn hin und her. Die Worte lagen mir schon auf der Zunge, dass das ein Omen sei, aber dann zog ich es doch vor zu schweigen – was, wie ich glaube, auch schlauer war.
KAPITEL III
W ie die Zeremonie mittlerweile abläuft, da selbst die höchsten Amtsträger nur noch Laufburschen sind, weiß ich nicht, aber zu Ciceros Zeiten war der erste Besucher, der einem neuen Konsul am Tag seiner Vereidigung die Aufwartung machte, immer ein Mitglied des Priesterkollegiums der Auguren. Demzufolge hielt sich Cicero kurz vor Morgengrauen zusammen mit Terentia und seinen Kindern im Atrium bereit und wartete auf die Ankunft des Auguren. Ich wusste, dass er nicht gut geschlafen hatte, da ich gehört hatte, wie er oben hin und her gegangen war, was er immer dann tat, wenn er über etwas nachdachte. Seine Fähigkeit, schnell wieder zu Kräften zu kommen, war jedoch geradezu übernatürlich. Als er im Kreis seiner Familie wartete, sah er frisch und munter aus, wie ein Olympionike, der sein ganzes Leben für einen speziellen Wettkampf trainiert hatte und nun endlich am Start stand.
Als alles bereit war, gab ich dem Türwächter ein Zeichen, worauf er die schwere Holztür öffnete und die Hüter der heiligen Hühner einließ, die pularii – ein halbes Dutzend hagerer kleiner Burschen, die selbst ein bisschen wie Hühner aussahen. Hinter der Eskorte ragte der Augur selbst auf und klopfte mit seinem Krummstab auf den Boden: wahrhaftig ein Riese, in vollem Putz, mit hoher kegelförmiger Haube und reich verzierter purpurner Robe. Der kleine
Marcus schrie auf, als er ihn durch den Gang hereinkommen sah, und versteckte sich hinter Terentias Tunika. Der Augur an jenem Tag war Quintus Caecilius Metellus Celer, und ich werde kurz über ihn berichten, da er in Ciceros Geschichte noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Er war gerade erst von den Schlachtfeldern des Ostens zurückgekehrt – ein Soldat durch und durch, ja, eine Art Kriegsheld, nachdem er einen Angriff auf sein Winterquartier gegen einen zahlenmäßig deutlich überlegenen Gegner zurückgeschlagen hatte. Er hatte unter dem Kommando von Pompeius Magnus gekämpft, der zufälligerweise auch der Ehemann seiner Schwester war, was seine Karriere nicht gerade behindert hatte. Er entstammte der Metellus-Sippe und war deshalb mehr oder weniger dazu ausersehen, in ein paar Jahren selbst Konsul zu werden; an jenem Tag sollte er als Prätor vereidigt werden. Seine Frau war die verrufene Schönheit Clodia, ein Mitglied des Geschlechts
Weitere Kostenlose Bücher