02 Titan
Cicero, dessen Augen rasend schnell über die Schrift huschten. »Ein besseres Gesetz, um die Republik in Stücke zu reißen, hätten sie kaum entwerfen können.«
»Müsst Ihr in Eurer Antrittsrede darauf eingehen?«, fragte ich.
»Natürlich. Warum, glaubst du wohl, haben sie es genau jetzt bekanntgemacht?«
»Der Zeitpunkt ist ohne Zweifel perfekt gewählt«, sagte Celer. »Ein neuer Konsul. Sein erster Tag im Amt. Ohne militärische Erfahrung. Ohne mächtige Familie im Hintergrund. Sie stellen dich auf die Probe, Cicero.« Lautes Rufen drang von der Straße herauf. Ich schaute über die Brüstung. Eine Menschenmenge versammelte sich, um Cicero zu seiner Amtseinführung zu begleiten. Auf der anderen Seite des Tals begannen sich die Umrisse der Tempel auf dem Kapitol scharf gegen den Morgenhimmel abzuzeichnen. »Waren das Blitze?«, fragte Celer einen der jungen Hüter der heiligen Hühner. »Hoffentlich, bei Jupiter. Ich friere mir schon die Eier ab.«
»Wenn Ihr Blitze gesehen habt«, sagte der Junge, »dann werden da auch welche gewesen sein.«
»Richtig, also dann, ich habe Blitze gesehen, und zwar dort, auf der linken Seite. Schreib es auf, mein Junge. Glückwunsch, Cicero – ein günstiges Omen. Also, lasst uns gehen.« Aber Cicero schien ihn gar nicht gehört zu haben. Regungslos saß er auf seinem Stuhl und starrte geradeaus. Celer legte ihm im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter. »Übrigens, mein Neffe Quintus Metellus lässt dir Grüße ausrichten, außerdem möchte er dich freundlich daran erinnern, dass er immer noch draußen vor der Stadt lagert und auf den Triumph wartet, den du ihm als Gegenleistung für seine Stimme versprochen hast. Wie auch Licinius Lucullus, wenn wir schon dabei sind. Vergiss nicht, dass ihnen Hunderte von Veteranen zu Befehl stehen. Wenn diese Geschichte sich zum Bürgerkrieg auswächst, was leicht sein kann, dann könnten sie durchaus wieder für Ordnung sorgen.«
»Danke, Celer. Soldaten in Rom einmarschieren zu lassen – das ist sicher die beste Methode, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden.«
Die Bemerkung war sarkastisch gemeint, aber an den Celers dieser Welt prallt Sarkasmus ab wie ein Spielzeugpfeil an einer Eisenrüstung. Er verließ das Dach von Ciceros Haus, ohne dass seine Selbstherrlichkeit im mindesten gelitten hatte. Ich fragte Cicero, ob ich ihm mit irgendetwas dienen könne. »Ja«, sagte er düster. »Mit einer neuen Rede. Lass mich jetzt eine Zeit lang allein.« Ich ging also nach unten und wollte gar nicht erst daran denken, welche Aufgabe er zu meistern hatte: Er musste zu sechshundert Senatoren aus dem Stegreif über ein Gesetz sprechen, das er gerade zum ersten Mal gelesen hatte – in der Gewissheit, was immer er auch sagte, es würde entweder die eine oder die andere Fraktion in Rage bringen. Bei der Vorstellung drehte sich mir der Magen um.
Das Haus füllte sich schnell, nicht nur mit Klienten von Cicero, sondern auch mit Gratulanten, die einfach von der Straße hereinspazierten. Cicero hatte angeordnet, zu seiner Amtseinführung keine Kosten zu scheuen, und wann immer Terentia Bedenken wegen der Ausgaben anmeldete, antwortete er lächelnd: »Kommt in Macedonia alles wieder rein.« Jeder erhielt als Gastgeschenk Feigen und Honig. Atticus, der ein führendes Mitglied des Ritterstandes war, traf mit einer großen Abordnung von Ciceros Anhängern aus der Ritterschaft ein. Sie wurden, ebenso wie Ciceros engste Senatskollegen, die von Quintus ins Haus geleitet wurden, im Tablinum mit Glühwein bewirtet. Servius war nicht gekommen. Inmitten des Trubels gelang es mir, Atticus und Quintus zu berichten, dass das Gesetz der Popularen ausgehängt worden war und dass es nichts Gutes bedeutete.
Mittlerweile tat man sich allerseits an den Speisen und Getränken des Haushalts gütlich: die gemieteten Flötenspieler, Trommler und Tänzer, die Vertreter der Stadtteile und der Hauptquartiere der Wahlbezirke und natürlich das Personal, das das Amt des Konsulats mit sich brachte: Schreiber,
Boten, Kopisten und Bedienstete der Staatskasse sowie die zwölf Liktoren, die der Senat zum Schutz des Konsuls abkommandiert hatte. Das Einzige, was dem Schauspiel fehlte, war sein Hauptdarsteller, und je später es wurde, desto schwerer fiel es mir, seine Abwesenheit zu erklären, denn inzwischen hatte jeder von dem Gesetz erfahren und wollte wissen, wie sich Cicero dazu zu äußern gedenke. Ich konnte nur sagen, dass er noch von den Auspizien aufgehalten werde, aber
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