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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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jeden Moment herunterkommen müsse. Die mit ihren neuen Juwelen behängte Terentia zischte mir ins Ohr, dass ich lieber etwas unternehmen solle, bevor man anfange, das Haus auszuplündern, und so verfiel ich auf die List, zwei Sklaven mit der Anweisung aufs Dach zu schicken, den kurulischen Stuhl herunterzuholen und Cicero zu sagen, dass man das Symbol seiner Amtsgewalt für die feierliche Parade benötige – eine Ausrede, die den Vorzug hatte, der Wahrheit zu entsprechen.
    Das funktionierte. Kurze Zeit später kam Cicero herunter  – zu meiner Erleichterung ohne die Kaninchenfellmütze. Sein Erscheinen nahm die dicht gedrängte Menge, in der sich nicht wenige dank dem Glühwein in sehr ausgelassener Stimmung befanden, mit vielstimmigem Jubelgeschrei auf. Cicero gab mir die Wachstafeln mit dem Gesetzestext und flüsterte: »Nimm die mit.« Dann stieg er auf einen Stuhl, winkte freundlich in die Runde und bat alle Mitarbeiter der Staatskasse, die Hand zu heben. Etwa zwei Dutzend Hände gingen hoch. Das waren zu jener Zeit – was einem heute erstaunlich vorkommen mag – alle Männer, die das Römische Reich von seinem Zentrum aus verwalteten.
    »Meine Herren«, sagte er und legte seine Hand auf meine Schulter, »dies hier ist Tiro, der schon seit der Zeit, bevor ich Senator wurde, mein erster Privatsekretär ist. Eine Anordnung von ihm ist zu befolgen wie eine Anordnung von mir, und alle mit mir zu besprechenden Angelegenheiten können
auch mit ihm erörtert werden. Ich ziehe schriftliche mündlichen Berichten vor. Ich stehe früh auf und arbeite bis spät in die Nacht. Ich werde weder Bestechung noch jede andere Form der Korruption noch Klatsch dulden. Solltet ihr einen Fehler machen, gebt ihn ruhig zu – und zwar schnellstens. Wenn ihr das beherzigt, werden wir gut miteinander auskommen. Und nun: an die Arbeit!«
    Nach dieser kleinen Rede, die mir die Röte in die Wangen getrieben hatte, erhielten die Liktoren, zusammen mit einer gefüllten Geldbörse für jeden Einzelnen, ihre neuen Rutenbündel, und endlich wurde auch Ciceros kurulischer Stuhl vom Dach heruntergebracht und vor den Versammelten ausgestellt. Der Anblick allein rief – wie nicht anders zu erwarten – allgemeines Raunen und sogar Applaus hervor, war er doch aus numidischem Elfenbein geschnitzt und hatte über hunderttausend Sesterze gekostet (»Kommt in Macedonia alles wieder rein!«). Dann wurde wieder Wein getrunken, sogar Klein Marcus nahm einen Schluck aus einem Elfenbeinbecher, die Flötenspieler begannen zu spielen, und wir gingen hinaus auf die Straße und machten uns auf den langen Marsch quer durch die Stadt.
    Es war noch eiskalt, aber die Sonne ging gerade auf und schickte die ersten goldenen Strahlen über die Dächer der Häuser. Das Licht auf dem Schnee verlieh Rom einen himmlischen Glanz, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Die Liktoren führten die Parade an, vier von ihnen trugen auf einer offenen Sänfte den kurulischen Stuhl. Cicero ging neben Terentia, es folgte Tullia mit ihrem Verlobten Frugi. Quintus trug Marcus auf den Schultern, und zu beiden Seiten der Familie des neuen Konsuls marschierten die Ritter und die in strahlendem Weiß gewandeten Senatoren. Die Flöten trillerten, die Trommeln dröhnten, und die Tänzer hüpften ausgelassen um uns herum. Bürger standen an den Straßen und lehnten sich neugierig aus den Fenstern. Viel Jubel und
Beifall begleitete den Zug, aber auch – um ehrlich zu sein – einige Buhrufe, vor allem in den ärmeren Teilen von Subura, als wir über die Argiletum in Richtung Forum zogen. Cicero nickte von Seite zu Seite und hob gelegentlich grüßend die Hand, aber sein Gesichtsausdruck war ernst. Ich wusste, dass er über die bevorstehenden Ereignisse nachdachte. Vor einer großen Rede war ein Teil von ihm immer abwesend. Ich sah, dass sowohl Atticus als auch Quintus hin und wieder versuchten, mit ihm zu sprechen, aber er schüttelte nur den Kopf und wollte mit seinen Gedanken allein gelassen werden. Als wir das Forum erreichten, wimmelte es dort vor Menschen. Wir gingen an der Rostra und dem leeren Senatsgebäude vorbei und stiegen zum Kapitol hinauf. Der Rauch von den Altarfeuern kringelte sich über den Tempeln. Der Duft des brennenden Safrans stieg mir in die Nase, und ich hörte das Brüllen der auf ihre Opferung wartenden Bullen. Als wir uns dem Triumphbogen des Scipio Africanus näherten, drehte ich mich um und ließ meinen Blick über Rom schweifen – über die Hügel und

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