02 Titan
gebracht, die Fußtruppen hättest du schutzlos zurückgelassen. Ist das wahr?«
»Ganz und gar nicht.«
»Tatsächlich hast du tapfer die Verfolgung der Armee der Istrier aufgenommen, ist das korrekt?«
»Das ist richtig.«
»Und während deiner Abwesenheit haben die Truppen der Bastarner die Donau überquert und die Fußtruppen im Rücken angegriffen?«
»Das stimmt.«
»Und du konntest nichts unternehmen?«
»Leider nicht.« Hybrida senkte den Kopf und rieb sich genau nach Ciceros Anweisung die Augen.
»Viele deiner Freunde und Kameraden sind den Barbaren zum Opfer gefallen, ist das richtig?«
»O ja, sehr viele.«
Nach einer langen Pause, während der das Gericht in völligem Schweigen verharrte, wandte sich Cicero an die Geschworenen. »Die Geschicke des Krieges, ehrwürdige
Richter, können grausam und wechselhaft sein«, sagte er. »Aber das ist nicht das Gleiche wie Hochverrat.«
Als Cicero seinen Platz wieder einnahm, bekam er anhaltenden Beifall, nicht nur von den Zuschauern, sondern auch aus den Reihen der Geschworenen, und zum ersten Mal wagte ich zu hoffen, dass Ciceros anwaltliches Geschick wieder einmal die Situation gerettet habe. Rufus lächelte vor sich hin, trank einen Schluck Wein mit Wasser und erhob sich. Dann dehnte er die Schultern wie ein Athlet, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und bog den Oberkörper hin und her. Als ich das sah, unmittelbar bevor er mit Hybridas Befragung begann, schienen die Jahre plötzlich wie weggefegt zu sein. Ich erinnerte mich, wie Cicero ihn immer auf Botengänge durch die Stadt geschickt hatte, wie er ihn wegen der Schlampigkeit seiner Kleidung und der Länge seiner Haare gepiesackt hatte. Ich erinnerte mich, wie er mir Geld gestohlen und nächtelang getrunken und gespielt hatte und wie man ihm trotzdem nicht lange hatte böse sein können. Welch verschlungene Wege hatte der Ehrgeiz eingeschlagen, um uns alle an diesen Ort zu führen?
Rufus ging gemächlich zum Zeugenstand. Er zeigte keinerlei Nerven. Als schlenderte er in eine Taverne, um einen Freund zu treffen. »Verfügst du über ein gutes Gedächtnis, Antonius Hybrida?«
»Ja.«
»Nun, dann wirst du dich bestimmt an den Sklaven aus deinem Besitz erinnern, der kurz vor deinem Amtsantritt als Konsul ermordet wurde.«
Hybrida schaute ihn verblüfft an und blickte dann ebenso verblüfft zu Cicero. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich erinnere. Im Lauf der Jahre hat man so viele Sklaven …«
»Aber an diesen Sklaven musst du dich doch erinnern«, hakte Rufus nach. »Er stammte aus Smyrna. Ungefähr zwölf Jahre alt. Man hatte seine Leiche in den Tiber geworfen. Cicero
war dabei, als man seine Überreste aus dem Fluss gefischt hat. Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten und seine Eingeweide entfernt.«
Entsetzt stöhnten die Mitglieder des Gerichts auf, und ich spürte, dass ich einen trockenen Mund bekam, nicht nur wegen der Erinnerung an den armen Burschen, sondern auch weil ich erkannte, worauf diese Fragen hinauslaufen könnten. Auch Cicero erkannte das. Er sprang alarmiert auf und erhob Einspruch. »Das ist irrelevant«, sagte er zu dem Prätor. »Was soll der Tod eines Sklaven vor über vier Jahren mit der verlorenen Schlacht am Schwarzen Meer zu tun haben?«
»Der Angeklagte soll die Frage beantworten«, entschied Clodianus und fügte dann philosophisch hinzu: »Das Leben hat mich gelehrt, dass alle möglichen Dinge miteinander verflochten sein können.«
Hybrida blickte immer noch verzweifelt zu Cicero. »Nun ja, ich glaube, ich kann mich jetzt wieder an einen Vorfall dieser Art erinnern.«
»Das hoffe ich doch sehr«, sagte Rufus. »Es kommt ja schließlich nicht alle Tage vor, dass man Zeuge eines Menschenopfers wird. Das dürfte selbst dir, meine ich, trotz all deiner abscheulichen Laster, nur äußerst selten untergekommen sein.«
»Ich weiß nichts von einem Menschenopfer«, nuschelte Hybrida.
»Catilina hat den Mord begangen und dann von dir und allen anderen anwesenden Personen verlangt, einen Eid zu schwören.«
»Wirklich?« Hybrida legte die Stirn in Falten, als versuchte er, sich an eine lang zurückliegende Bekanntschaft zu erinnern. »Nein, ich erinnere mich nicht. Du musst dich irren.«
»O doch, genau das hat er verlangt. Und du hast beim Blut des abgeschlachteten Jungen geschworen, deinen Mitkonsul
zu ermorden – den Mann, der hier als dein Anwalt neben dir sitzt.«
Diese Worte sorgten für einen neuerlichen Aufruhr der Gefühle. Cicero wartete, bis
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