02 Titan
aus Macedonia herauszupressen. Zweitens: Die für seine Armee bestimmten Einnahmen waren in die eigene Tasche geflossen. Drittens: Während einer Strafaktion gegen rebellische Stämme am Schwarzen Meer hatte er seine Pflichten als Oberbefehlshaber vernachlässigt. Viertens: Feigheit vor dem Feind, weil er vom Schlachtfeld geflohen war. Und schließlich fünftens: Als Folge seiner Unfähigkeit war dem Römischen Reich das Gebiet um die Stadt Histria am Unterlauf der Donau verlorengegangen. Die Mischung aus moralischer Entrüstung und boshaftem Humor, mit der Rufus die Anklagepunkte vortrug, war der seines Meisters in Höchstform ebenbürtig. Ich erinnere mich besonders an seinen drastischen Bericht über Hybridas Pflichtvergessenheit am Morgen der Schlacht gegen die Rebellen. »Sie fanden
den Mann im Vollrausch, alle viere von sich gestreckt«, sagte er, ging dabei hinter Hybrida vorbei und zeigte auf ihn wie auf ein Beweisstück. »Er schnarchte höllisch laut und rülpste immer mal wieder. Auf sämtlichen Sofas ruhten die vornehmen Damen, die seine Gemächer teilten, die anderen Frauen lagen kreuz und quer auf dem Boden herum. Zu Tode entsetzt angesichts des Vormarschs des Feindes, versuchten sie, Hybrida zu wecken. Sie brüllten seinen Namen und versuchten vergeblich, ihn am Hals in die Senkrechte zu hieven. Sie flüsterten ihm Schmeicheleien ins Ohr, die eine oder andere versuchte es mit ein paar kräftigen Schlägen ins Gesicht. Er erkannte ihre Stimmen und merkte wohl auch, dass ihn jemand berührte, und versuchte jedem, der gerade in der Nähe war, die Arme um den Hals zu schlingen. Er war jetzt zu wach, um noch zu schlafen, aber auch zu betrunken, um wach zu bleiben: Seine Centurionen und Konkubinen stießen den Benebelten und halb Bewusstlosen im Kreis herum.«
Wohlgemerkt, er trug all das in freier Rede vor, ohne jede Notiz. Allein diese Schilderung war schon tödlich für die Verteidigung. Mit den Hauptzeugen der Anklage – darunter mehrere von Hybridas Befehlshabern, zwei seiner Konkubinen und sein Quartiermeister – wurde es sogar noch schlimmer. Nach dem ersten Verhandlungstag gratulierte Cicero Rufus zu seinem Auftritt, und am Abend gab er seinem niedergeschlagenen Mandanten rundheraus den Rat, seinen römischen Besitz zum besten Preis, den er noch bekommen könne, zu verkaufen, den Erlös in Edelsteine oder irgendetwas anderes Tragbares umzutauschen und dann ins Exil zu verschwinden. »Du musst dich auf das Schlimmste gefasst machen.«
Ich werde den Prozess nicht in aller Breite wiedergeben. Es genügt der Hinweis, dass Cicero zwar mit allen ihm zu Gebote stehenden Kunstgriffen versuchte, Rufus’ Fall zu erschüttern,
dass er ihm allerdings kaum einen Kratzer zufügen konnte. Die Zeugen, die Hybrida zu seiner Verteidigung aufbieten konnte, waren allesamt schwach – hauptsächlich alte Saufkumpane oder Beamte, die er für ihre Lügen bestochen hatte. Am Ende des vierten Tages war nur noch eine Frage offen: Sollte Cicero Hybrida in den Zeugenstand rufen, um so wenigstens ein bisschen Mitgefühl bei den Geschworenen zu wecken; oder sollte Hybrida die Sache verlorengeben und vor Verkündung des Urteils heimlich Rom verlassen, um sich so die Demütigung zu ersparen, unter Hohn und Spott aus der Stadt gejagt zu werden? Cicero bat Hybrida in seine Bibliothek, um diese Frage zu klären.
»Was soll ich deiner Meinung nach tun?«, fragte Hybrida.
»Ich würde verschwinden«, sagte Cicero, der seinem eigenen Martyrium unbedingt ein Ende bereiten wollte. »Es ist durchaus möglich, dass du durch deine Aussage alles nur noch schlimmer machst. Warum Rufus diese Genugtuung gönnen?«
Hybrida brach zusammen. »Was habe ich diesem jungen Burschen nur angetan, dass er mich so zerstören will?« Tränen des Selbstmitleids rannen ihm über die speckigen Wangen.
»Jetzt reiß dich zusammen, Hybrida, denk an deine ruhmreichen Vorväter.« Cicero beugte sich vor und klopfte ihm auf die Knie. »Außerdem, das ist nichts Persönliches. Er ist einfach ein kluger junger Bursche vom Land, der es in der Welt zu etwas bringen will. Er erinnert mich in vielerlei Hinsicht an mich selbst. Unglücklicherweise bist es zufällig du, der ihm die Möglichkeit bietet, sich einen Namen zu machen – so wie es bei mir Verres gewesen ist.«
»Zum Henker mit ihm!«, sagte Hybrida plötzlich und richtete sich auf. »Ich werde aussagen.«
»Bist du dir sicher, dass du dem gewachsen bist? Eine Befragung vor Gericht kann ziemlich
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