02 Titan
um Clodius’ Hauptquartier im Tempel des Castor. Dort lungerten nach wir vor seine Leute herum und warteten nur darauf, sich Cicero zu schnappen, sollte er es tatsächlich wagen, sich in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Einmal stand ich ganz hinten in einer Menschenmenge und hörte mir an, wie Clodius auf dem Podium für die Volkstribunen gegen Cicero hetzte. Seine Herrschaft über die Stadt war absolut. Caesar befand sich mit seiner Armee auf dem Marsfeld und bereitete seine Abreise nach Gallien vor. Pompeius hatte sich aus der Stadt auf seinen Landsitz in den Albaner Bergen zurückgezogen und schwelgte mit Julia im Eheglück. Die Konsuln waren Clodius wegen der Provinzen verpflichtet. Clodius hatte gelernt, den Pöbel zu umgarnen
wie ein Frauenheld seine Angebetete. Er hielt sich die Menge in ständig grölender Ekstase. Ich konnte mir das nicht lange anhören.
Den Abtransport von Ciceros wertvollstem Stück hoben wir uns bis zum Schluss auf. Dabei handelte es sich um einen Tisch aus Zitrusholz, den er von einem Klienten bekommen hatte und der, so hieß es, eine halbe Million Sesterze wert war. Wir konnten ihn nicht zerlegen, also beschlossen wir, ihn im Schutz der Dunkelheit in Lucullus’ Villa zu bringen, wo er inmitten des anderen opulenten Mobiliars überhaupt nicht auffallen würde. Wir hievten ihn auf einen Ochsenkarren, bedeckten ihn mit Strohballen und machten uns auf die etwa zwei Meilen lange Fahrt. An der Tür empfing uns Lucullus’ Aufseher mit einer kurzen Peitsche in der Hand und sagte, ein Sklavenmädchen werde uns zeigen, wo wir den Tisch hinstellen sollten. Zu viert mussten wir anpacken, um den Tisch vom Wagen zu heben, dann führte uns die Sklavin durch die riesigen, hallenden Räume, bis sie auf eine Stelle zeigte und sagte, wir sollten ihn da hinstellen. Mein Herz raste, und zwar nicht nur wegen des schweren Tisches, sondern weil ich die Sklavin erkannt hatte. Wie sollte ich auch nicht? An den meisten Abenden war ich mit ihrem Bild vor Augen zu Bett gegangen. Natürlich wollte ich ihr hundert Fragen stellen, aber ich hatte Angst, dass ich damit die Aufmerksamkeit des Aufsehers auf sie lenken würde. Wir folgten ihr zurück durch das Haus bis in die prächtige Eingangshalle. Es war nicht zu übersehen, dass sie unterernährt war. Die kraftlosen Schultern hingen schlaff herunter, und in ihrem dunklen Haar waren schon graue Strähnen zu sehen. Ihr Leben hier war eindeutig härter als in Misenum – ein launisches Leben, das Leben einer Sklavin, das weniger von ihrem Status als vom Charakter ihres Herrn abhängig war: Lucullus hätte nicht mal bemerkt, dass sie überhaupt existierte. Die Vordertür
stand offen. Die anderen gingen nach draußen. Kurz bevor ich ihnen folgte, flüsterte ich: »Agathe.« Sie drehte sich müde um und schaute mich an, überrascht, dass jemand ihren Namen kannte. Aber in ihren leblosen Augen war keine Spur von Wiedererkennen zu entdecken.
KAPITEL XIX
A m nächsten Morgen unterhielt ich mich gerade mit dem Hausverwalter Eros, als ich aus den Augenwinkeln sah, wie Cicero zum ersten Mal nach zwei Wochen mit vorsichtigen Schritten die Treppe herunterkam. Ich hielt den Atem an. Es war, als sähe ich ein Gespenst. Er trug nicht seine gewohnte Toga, sondern zum Zeichen der Trauer eine alte schwarze Tunika. Die eingefallenen Wangen, das zerzauste Haar und der weiße Bart, der ihm gewachsen war, ließen ihn wie einen alten Landstreicher aussehen. Als er unten angekommen war, blieb er stehen. Zu dieser Zeit war das Haus fast vollständig ausgeräumt. Verwirrt betrachtete er die nackten Wände und Fußböden im Atrium. Er schlurfte in die Bibliothek. Ich folgte ihm und sah von der Tür, wie er in die leeren Bücherschränke schaute. Ihm waren lediglich ein Stuhl und ein kleiner Tisch geblieben. Ohne sich umzuschauen, sagte er mit leiser und deshalb umso schrecklicher klingenden Stimme: »Wer war das?«
»Die Herrin des Hauses hielt das für eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme«, sagte ich.
»›Eine vernünftige Vorsichtsnahme‹?« Er fuhr mit einer Hand über ein leeres Regalbrett. Die Bücherschränke waren aus Rosenholz gearbeitet, herrliche Schnitzarbeiten nach Ciceros eigenen Entwürfen. »Wohl eher ein Dolchstoß in den Rücken!« Er betrachtete den Staub auf seinen Fingerspitzen.
»Sie hat dieses Haus nie gemocht.« Und dann sagte er, immer noch, ohne mich anzuschauen: »Lass einen Wagen anspannen.«
»Natürlich.« Ich zögerte. »Darf ich wissen, wohin wir
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