02 Titan
leben.« Er hob die Hand zur Stirn und betastete mit der Fingerspitze einen Streifen verkrustetes Blut. »Ich habe heute mit Piso gesprochen. Er hat durchblicken lassen, dass er persönlich wegen der Art und Weise, wie man dich behandelt hat, durchaus Mitleid mit dir hat. Geh freiwillig ins Exil, und gib uns die Zeit, auf eine Aufhebung von Clodius’ Gesetz hinzuarbeiten. Ich bin mir sicher, eines Tages wirst du im Triumph in die Stadt zurückkehren.«
»Atticus?«
»Du kennst meine Meinung«, sagte Atticus. »Du hättest dir eine Menge Ärger erspart, wenn du Caesars Angebot gleich angenommen hättest.«
»Terentia, meine Liebe, was meinst du?«
Terentia trug wie ihr Mann Trauerkleidung. In ihrer schwarzen Robe und mit ihrem totenblassen Gesicht war sie zu unserer Elektra geworden. Sie sprach mit großem Nachdruck. »Unser gegenwärtiges Leben ist unerträglich. Freiwilliges Exil riecht nach Feigheit. Und wie willst du deinem sechsjährigen Sohn Selbstmord erklären? Du hast keine Wahl. Geh zu Caesar.«
Es war später Nachmittag – die rote Sonne senkte sich hinter die kahlen Bäume, und vom Forum her wehte eine warme Frühlingsbrise die dissonanten »Tod dem Tyrannen« Schlachtrufe herauf. Die anderen Senatoren verließen das Haus mit ihren Sklaven durch die Vordertür und spielten den Lockvogel für den Pöbel auf der Straße. Währenddessen schlüpften Cicero und ich durch die Hintertür nach draußen.
Cicero hatte sich eine zerschlissene braune Decke über den Kopf geworfen und sah damit wie ein Bettler aus. Wir hasteten über die Caci-Treppe zur Via Etrusca hinunter und mischten uns unter die Menschen, die stadtauswärts in Richtung Porta Flumentana strömten. Niemand behelligte uns oder schaute uns genauer an.
Ich hatte einen Sklaven mit der Botschaft zu Caesar vorausgeschickt, dass Cicero ihn sprechen wolle, und als wir die Porta Flumentana erreichten, erwartete uns schon einer seiner Offiziere, der einen mit roten Federn geschmückten Helm trug. Er war entsetzt über Ciceros Aussehen, fasste sich aber so weit, dass er ihm einen halbwegs korrekten Gruß entbieten konnte, und geleitete uns dann hinaus auf das Marsfeld. Hier war eine riesige Zeltstadt für Caesars frisch ausgehobene Legionen errichtet worden. Als wir sie durchquerten, war überall zu erkennen, dass die Armee das Lager abbrach und sich zum Abmarsch nach Gallien bereitmachte: Abfallgruben wurden zugeschüttet, Erdwälle eingeebnet, Wagen mit Vorräten beladen. Der Offizier erzählte Cicero, dass sie den Befehl hätten, am nächsten Tag vor Morgengrauen nach Norden aufzubrechen. Er führte uns zu einem Zelt, das deutlich größer war als die anderen und etwas abseits auf einem flachen Hügel stand. Daneben war ein Legionsadler aufgepflanzt. Der Soldat bat uns zu warten, schlug die Zeltklappe zur Seite und ging hinein. Cicero – weißbärtig, in seiner alten Tunika, mit der Decke um die Schultern – drehte sich um und ließ den Blick über das Lager schweifen.
»Tja, es ist immer das Gleiche mit Caesar«, sagte ich, um das Schweigen etwas aufzulockern. »Scheint ihm Spaß zu machen, seine Besucher warten zu lassen.«
»Daran sollten wir uns gewöhnen«, erwiderte Cicero mit grimmiger Stimme. »Da, schau«, sagte er und nickte in Richtung des Flusses. Aus der Ebene jenseits des Lagers ragte im
trüben Licht ein gewaltiges wackeliges Baugerüst auf. »Das muss das Theater von unserem ›Pharao‹ sein.« Er schaute es ziemlich lange gedankenversunken an und kaute dabei nervös auf der Innenseite seiner Unterlippe herum.
Schließlich flog die Klappe wieder zur Seite, und wir wurden ins Zelt geführt. Die Einrichtung war äußerst spärlich. Auf dem Boden lag eine dünne Strohmatratze mit einer Decke. Daneben stand eine Holztruhe, auf der sich ein Spiegel, ein paar Haarbürsten, ein Wasserkrug und eine Waschschüssel sowie das goldgerahmte Miniaturporträt einer Frau befanden. (Ich bin mir fast sicher, dass es Servilia darstellte, war aber zu weit davon entfernt, um es genau erkennen zu können.) An einem mit Schriftstücken überhäuften Klapptisch saß Caesar. Er unterzeichnete etwas. Hinter ihm standen reglos zwei Sekretäre. Er schob das Dokument beiseite, schaute auf, erhob sich und ging mit ausgestreckter Hand auf Cicero zu. Es war das erste Mal, dass ich ihn in Uniform sah. Sie umschloss ihn so natürlich wie eine zweite Haut, und mir fiel auf, dass ich ihn in all den Jahren, die ich ihn nun schon beobachtete, nie in der Arena
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