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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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diese Republik anschaue, Senatoren, dann sehe ich zwei Körper. Der eine«, sagte er und zeigte erst auf die Patrizier und dann auf Cicero, der stocksteif auf seinem Stuhl saß, »ist gebrechlich und sein Kopf schwach. Der andere …« Er zeigte zur Tür und zum Forum dahinter. »… ist stark und hat überhaupt keinen Kopf. Ich weiß, welcher Körper mir lieber ist … und mir wird es, so lange ich lebe, nie an einem Kopf fehlen!«
    Wenn ich diese Sätze jetzt lese, wundert es mich, dass man Catilina nicht auf der Stelle festgenommen und des Hochverrats angeklagt hat. Allerdings hatte er mächtige Hintermänner. In dem Augenblick, als er sich wieder gesetzt hatte, stand Crassus auf. O ja, Marcus Licinius Crassus – in diesem Teil meiner Erzählung habe ich ihm noch nicht annähernd den Raum gewidmet, der ihm zukommt. Aber das soll nun korrigiert werden. Der Erbschleicher alter Damen, der Geldverleiher zu Wucherzinsen, der Miethai der Elendsquartiere, der Spekulant und Hamsterer, der ehemalige Konsul, der so kahl wie ein Ei und so hart wie ein Stück Feuerstein war – dieser Crassus war ein höchst eindrucksvoller Redner, wenn er seinen durchtriebenen Verstand anstrengte, was er an jenem Julimorgen tat.
    »Verzeiht mir die Begriffsstutzigkeit, meine Kollegen Senatoren, vielleicht geht es ja nur mir so«, sagte er. »Ich habe aufmerksam zugehört, und doch habe ich nicht einen einzigen Grund erfahren, der die Verschiebung der Wahlen auch nur um einen Augenblick rechtfertigen würde. Worin genau besteht denn nun diese sogenannte Verschwörung? In einer anonymen Mitteilung? Nun, der Konsul könnte sie selbst geschrieben haben, und ich kenne viele, die ihm das durchaus zutrauen würden. Im Bericht über eine Rede? Die erschien mir nicht sonderlich bemerkenswert. Tatsächlich erinnerte
sie mich an nichts so sehr wie an die Art von Reden, die unser radikaler homo novus Marcus Tullius Cicero zu halten pflegte, bevor er mit meinen patrizischen Freunden auf den Bänken gegenüber gemeinsame Sache machte.«
    Das war ein stichhaltiges Argument. Crassus umfasste mit beiden Händen die Vorderseite seiner Toga und spreizte die Ellbogen wie ein Gutsherr ab, der auf dem Markt seine Meinung über ein Schaf kundtat.
    »Die Götter wissen, ihr alle wisst, und der Vorsehung sei Dank dafür, dass ich kein armer Mann bin. Ich habe nichts davon, wenn alle Schulden annulliert werden, ganz im Gegenteil. Aber ich glaube nicht, dass Catilina von einer Kandidatur ausgeschlossen oder die Wahl auch nur um eine Stunde verzögert werden darf, lediglich aufgrund der schwächlichen Beweise, die man uns gerade vorgetragen hat. Ich stelle deshalb den Antrag, dass die Wahlen für die beiden Konsuln unverzüglich beginnen und dieses Haus sich sofort vertagt und zum Marsfeld begibt .«
    »Ich unterstütze den Antrag!«, sagte Caesar und sprang auf. »Und ich beantrage, dass augenblicklich darüber abgestimmt wird, damit keine Zeit mehr durch diese Verzögerungstaktiken vergeudet wird und die Wahl der neuen Konsuln gemäß unseren althergebrachten Gesetzen bis Sonnenuntergang abgeschlossen werden kann.«
    Wie eine fein austarierte Waage, die sich plötzlich durch ein paar zusätzliche Weizenkörner in die eine oder andere Richtung neigt, schlug die Stimmung des Senats an jenem Morgen ruckartig um. Jene, die gerade noch Catilina niedergebrüllt hatten, begannen jetzt lautstark den Beginn der Wahlen zu fordern, und Cicero traf klugerweise die Entscheidung, den Antrag erst gar nicht zur Abstimmung zu stellen. »Die Stimmungslage im Haus ist eindeutig«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Die Wahlen sollen sofort beginnen.« Und leise fügte er hinzu: »Mögen die Götter unsere
Republik schützen.« Ich glaube nicht, dass viele seine letzten Worte hörten, bestimmt nicht Catilina und seine Bande, die sogar die gewohnheitsmäßige Etikette missachteten, die dem Konsul beim Verlassen der Kammer den Vortritt gewährte. Sie reckten die Fäuste in die Höhe und bahnten sich mit triumphierendem Gebrüll den Weg durch den brechend vollen Gang hinaus aufs Forum.
    Cicero saß nun in der Klemme. Er konnte sich nicht wie ein Feigling nach Hause schleichen. Er musste Catilina folgen, denn bevor er nicht auf dem Marsfeld eintraf, um als präsidierender Konsul das Prozedere zu überwachen, konnte die Abstimmung nicht beginnen. Quintus, für den die Sicherheit seines Bruders immer an erster Stelle stand, hatte genau diese Entwicklung vorausgesehen und deshalb

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