02 Titan
seinen alten Brustpanzer aus Soldatenzeiten mit in den Senat genommen. Er bestand darauf, dass Cicero ihn anzog. Ich sah, dass Cicero unschlüssig war, sich angesichts der dramatischen Lage aber schließlich doch dazu überreden ließ. Eine Gruppe Senatoren baute sich zum Schutz um ihn auf, ich half ihm aus der Toga, schnallte ihm zusammen mit Quintus den Bronzeschild vor die Brust und zog ihm dann die Toga wieder über. Natürlich zeichnete sich das starre Metall unter der weißen Wolle deutlich ab, aber Quintus versicherte ihm, dass das nicht nur keine Rolle spiele, sondern im Gegenteil ein Vorteil sei: Es würde auf jeden Attentäter abschreckend wirken. So geschützt, schritt Cicero, eng umschlossen von seinen Liktoren und einigen Senatoren, mit erhobenem Haupt aus dem Senatsgebäude hinaus in das grelle Licht und den Lärm des Wahltages.
Die Menschen strömten nach Westen dem Marsfeld zu, und wir schwammen in dem Strom mit. Immer mehr von Ciceros Anhängern tauchten auf und schlossen sich uns an, bis sich schließlich ein schätzungsweise vier oder fünf Mann starker Schutzring zwischen Cicero und dem allgemeinen
Gedränge gebildet hatte. Eine große Menschenmenge kann ein furchteinflößender Anblick sein – ein Monstrum, das keine Vorstellung von der eigenen Kraft hat, mit verborgenen Instinkten, die es in die eine oder andere Richtung trieben, das in Panik geraten und alles niedertrampeln konnte. Die Menge an jenem Wahltag war gewaltig, wir drangen in sie ein wie ein Keil in einen Holzblock. Ich ging neben Cicero, und unsere Eskorte stieß und schob uns vorwärts, bis wir schließlich zu der für den Konsul abgetrennten Zone kamen. Sie bestand aus einem langen Podium, zu dem eine Leiter hinaufführte, und dahinter einem Zelt, wo er sich ausruhen konnte. An einer Seite, hinter einem Schafsgatter, befand sich der Bereich für die etwa zwanzig Kandidaten: Über die beiden Konsuln und die acht Prätoren musste an diesem Tag entschieden werden. Catilina unterhielt sich mit Caesar. Als die beiden Cicero kommen sahen, mit seinem Brustpanzer und von der Hitze knallrotem Gesicht, fingen sie laut zu lachen an und machten auch die anderen auf uns aufmerksam. »Ich hätte das verdammte Ding nie anziehen sollen«, brummte Cicero. »Ich schwitze wie ein Schwein, und wenn es einer auf meinen Kopf oder Hals abgesehen hat, nutzt es gar nichts.«
Da sich der Beginn der Wahlen ohnehin bereits verzögert hatte, blieb ihm jedoch keine Zeit, den Panzer abzunehmen, die Klausur mit den Auguren wartete schon. Sie erklärten die Vorzeichen für günstig, so dass Cicero das Wahlverfahren in Gang setzen konnte. Er bestieg das Podium, gefolgt von den Kandidaten, und sprach dann mit fester Stimme und ohne einen Hänger alle Gebete. Die Trompeten erschollen, auf dem Janiculum wurde die rote Flagge gehisst, und die erste Zenturie marschierte über die Brücke und gab ihre Stimmen ab. In den folgenden Stunden ging es nur noch darum, dass die Schlange der Wähler nicht ins Stocken geriet. Währenddessen brannte die Sonne ihren glühend heißen
Bogen in den Himmel, und Cicero köchelte unter seinem Brustpanzer wie ein Hummer im Kochtopf.
Wenn man mich fragt, so glaube ich, dass Cicero an diesem Tag ermordet worden wäre, wenn er anders gehandelt hätte. Verschwörungen gedeihen im Dunkeln, und indem er die Intriganten ins grelle Licht rückte, hatte er sie vorübergehend abgeschreckt. Zu viele Menschen schauten zu: Bei einem Attentat auf Cicero hätte jeder den Verantwortlichen gekannt. In jedem Fall war er jetzt, gerade weil er Alarm geschlagen hatte, von so vielen Freunden und Verbündeten umringt, dass es schon jede Menge entschlossener Männer gebraucht hätte, um zu ihm vorzudringen.
Also nahmen die Geschäfte des Tages ihren routinemäßigen Verlauf, und niemand erhob die Hand gegen den Konsul. Eine kleine Genugtuung widerfuhr Cicero wenigstens, als er die Wahl seines Bruders zum Prätor verkünden konnte. Allerdings hatte Quintus mit mehr Stimmen gerechnet, wohingegen Caesar das mit Abstand beste Ergebnis erzielte. Die Konsulatswahl fiel aus wie erwartet: Junius Silanus wurde Erster, Murena Zweiter, Servius und Catilina teilten sich den dritten Platz. Catilina vollführte einen spöttischen Diener vor Cicero und verließ mit seinen Anhängern das Marsfeld: Er hatte kein anderes Resultat erwartet. Servius hingegen verkraftete seine Niederlage nicht so gut. Nach der Verkündung des Ergebnisses kam er in Ciceros Zelt, um ihn aufs
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