02 Titan
Außer der verschwörerischen Bande ruinierter Männer gibt es keinen einzigen Menschen, der dich nicht fürchtet, nicht einen, der dich nicht hasst.«
In diesem Ton ging es noch lange weiter, bis Cicero schließlich das Ende seiner Rede einleitete. »Lassen wir die Verräter ziehen!«, sagte er. »Vorwärts, Catilina, führe deinen schändlichen, gottlosen Krieg weiter, für die Republik wird es die Rettung sein, dir selbst wird es Unglück und Verderben bringen, deine Anhänger werden untergehen. Du, Jupiter, wirst uns beschützen«, sagte er mit donnernder Stimme und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Statue der Gottheit. »Du wirst diese Verbrecher, ob im Leben oder im Tod, mit deiner ewigen Strafe heimsuchen.«
Cicero wandte sich um und schritt zum Podium zurück. Jetzt lauteten die Sprechchöre »Raus! Raus! Raus!« Catilina unternahm noch einen Versuch, das Blatt zu wenden. Er sprang auf, gestikulierte mit den Armen und brüllte auf Ciceros Rücken ein. Aber es war schon zu spät, der Schaden war nicht mehr gutzumachen, außerdem hatte er dazu nicht die rhetorischen Mittel. Er war geschlagen, gedemütigt, bloßgestellt, erledigt. Ich konnte die Worte »auswandern« und »Exil« verstehen, aber der Lärm war viel zu groß, als dass er sich hätte Gehör verschaffen können. Außerdem konnte er vor lauter Zorn ohnehin keine verständlichen Sätze mehr formulieren. Inmitten der tosenden Kakophonie verstummte er, stand noch kurz schwer atmend da, wandte sich hierhin und dorthin – wie ein einst stolzes Schiff, das, vom Sturm zerschmettert, mastlos an seinem Anker zerrt –, bis etwas in ihm zerbrach. Zitternd trat Catilina hinaus in den Gang, worauf mehrere Senatoren, darunter auch Quintus, über die Bänke sprangen, um sich vor den Konsul zu stellen. Aber so verrückt war selbst Catilina nicht: Hätte er sich auf Cicero gestürzt, er wäre in Stücke gerissen worden. Stattdessen ließ er ein letztes Mal verächtlich seinen Blick schweifen, wobei ihm sicher all die altehrwürdigen Ruhmestaten durch den Kopf gingen, an denen seine Vorfahren beteiligt gewesen waren. Dann marschierte er
aus dem Tempel, und später am Tag verließ er die Stadt – hinter dem Silberadler, der einst Marius gehört hatte, und begleitet von zwölf Anhängern, die er seine Liktoren nannte. Er ging nach Arretium, wo er sich offiziell zum Konsul ausrief.
In der Politik gibt es keine dauerhaften Siege, nur erbarmungslose Plackerei, um die Ereignisse voranzutreiben. Wenn mein Bericht eine Moral hat, dann diese. Cicero hatte einen rednerischen Triumph über Catilina gefeiert, über den man noch Jahre sprechen würde. Mit der Peitsche seiner Zunge hatte er das Monstrum aus Rom hinausgetrieben. Aber der Abschaum, wie er ihn nannte, war entgegen seiner Hoffnung nicht mit ihm hinausgeschwemmt worden. Im Gegenteil, nachdem ihr Anführer den Tempel verlassen hatte, verharrten Sura und die anderen ruhig auf ihren Plätzen und verfolgten die Debatte bis zu ihrem Ende. Vermutlich weil sie sich so sicherer fühlten, saßen sie alle zusammen: Sura, Cethegus, Longinus, Annius, Paetus, der künftige Volkstribun Bestia, die Sulla-Brüder, sogar Marcus Laeca, von dessen Haus man die Attentäter losgeschickt hatte. Ich sah, wie Cicero sie anschaute, und fragte mich, was ihm wohl jetzt durch den Kopf gehen mochte. An einem Punkt der Debatte erhob sich Sura und schlug mit seiner sonoren Stimme sogar vor, Catilinas Frau und Kinder unter den Schutz des Senats zu stellen! Die Diskussion schleppte sich so dahin, bis der designierte Volkstribun Metellus Nepos um das Wort bat. Jetzt, da Catilina die Stadt verlassen habe und sich vermutlich an die Spitze des Aufstands stellen werde, sagte er, halte er es für das Klügste, Pompeius nach Italien zurückzurufen und ihm die Führung der Streitkräfte des Senats zu übertragen. Sofort stand Caesar auf und unterstützte
den Antrag. Schlagfertig wie immer sah Cicero eine Chance, einen Keil zwischen seine Widersacher zu treiben, und fragte Crassus in unschuldig interessiertem Tonfall, wer seiner Meinung nach an Pompeius’ Seite Konsul werden solle. Crassus erhob sich zögernd.
»Niemand hat eine höhere Meinung von Pompeius Magnus als ich«, begann er, musste seine Rede aber sofort wieder unterbrechen, weil die Senatoren in höhnisches Gelächter ausbrachen. Wartend stand er da und klopfte gereizt mit dem Fuß auf den Boden. »Niemand hat eine höhere Meinung von Pompeius Magnus als ich«, wiederholte er, »aber
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