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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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lassen, wenn sie das wollten – egal, Hauptsache weg.«
    Sosehr er auch im Arbeitszimmer hin und her marschierte, es fiel ihm nicht ein, wie er das bewerkstelligen könne, und am Ende entschied er, dass ihm nichts anderes übrigbleibe, als eine Senatssitzung einzuberufen. Quintus und Atticus erhoben sofort Einspruch: Das sei viel zu gefährlich, wie sollten sie seine Sicherheit gewährleisten? Cicero dachte weiter nach und hatte schließlich einen schlauen Einfall. Anstatt den Senat in seiner üblichen Kammer einzuberufen, gab er den Befehl, die Bänke über das Forum zum Tempel des Jupiter Stator zu tragen. Das hatte zwei Vorteile. Erstens befand sich der Tempel am Fuß des Palatins, weshalb man ihn leichter gegen einen Angriff von Catilinas Anhängern verteidigen könnte. Zweitens verfügte der Ort über große symbolische Kraft. An einem kritischen Wendepunkt im Krieg gegen die Sabiner war der Tempel laut Überlieferung von Romulus höchstselbst Jupiter geweiht worden. Genau an diesem Ort hatte Rom in seiner ersten Stunde der Gefahr einig zusammengestanden: Hier würde Rom auch jetzt, angeführt von seinem neuen Romulus, einig zusammenstehen.
    Als Cicero sich auf den Weg zum Tempel machte – eng umringt von Liktoren und Leibwächtern –, hing eine Atmosphäre realen Grauens über der Stadt, so spürbar wie der Novembernebel, der vom Tiber aufstieg. In den Straßen Todesstille. Kein Beifall, niemand jubelte; jeder hielt sich zu Hause versteckt. Bleich und stumm verharrten die Bürger der Stadt im Halbdunkel hinter ihren Fenstern und beobachteten, wie der Konsul an ihnen vorüberging.
    Als wir das Forum erreichten, trafen wir auf zum Teil schon ziemlich alte Ritter, die mit Lanzen und Schwertern
bewaffnet waren und den Tempel umstellt hatten. Innerhalb dieses abgesperrten Bereichs hielten sich mehrere Hundert Senatoren auf, die stumm in Gruppen zusammenstanden. Sie machten eine Gasse für uns frei, einige klopften Cicero auf die Schulter und wünschten ihm flüsternd viel Glück. Cicero nickte dankbar, nahm schnell das Ergebnis der Auspizien zur Kenntnis und führte dann zusammen mit den Liktoren die Senatoren in das große Bauwerk. Das Innere des Tempels, in das ich nie zuvor einen Fuß gesetzt hatte, gab ein höchst düsteres Bild ab. An jeder Wand und in jeder Ecke der jahrhundertealten Halle stapelten sich die Überreste des militärischen Ruhms vom Anfang der Republik  – blutbefleckte Standarten, verbeulte Rüstungen, Schiffsschnäbel, Legionsadler und eine Statue des Scipio Africanus, deren Farbe so lebensecht wirkte, dass man glaubte, er stünde leibhaftig zwischen uns. Ich ging vor den Senatoren im hinteren Teil von Ciceros Gefolge, verrenkte mir den Hals und bestaunte all die Memorabilia und hatte fast schon das Podium erreicht, als mir zu meiner Verlegenheit auffiel, dass das einzige Geräusch das Klackern meiner Schuhe auf dem Steinboden war. Der gesamte Senat war in vollkommenes Schweigen verfallen.
    Cicero hantierte gerade an einer Papyrusrolle. Er drehte sich um, weil er wissen wollte, was da los war, und ich sah, wie sein Gesicht vor Verblüffung erstarrte. Beunruhigt drehte ich mich auch um – und erblickte Catilina, der gelassen auf einer der Bänke Platz nahm. Fast alle anderen Senatoren standen noch und starrten ihn an. Die Männer, die sich neben ihm befunden hatten, traten ein paar Schritte zurück, als hätten sie einen Leprakranken vor sich. Nie zuvor in meinem Leben habe ich eine solche Demonstration gesehen. Sogar Caesar hielt Abstand. Catilina nahm keinerlei Notiz davon, sondern verschränkte die Arme und reckte das Kinn vor. Das Schweigen hielt an, bis ich schließlich
in meinem Rücken die sehr ruhige Stimme Ciceros vernahm.
    »Wie lange noch, Catilina, willst du unsere Geduld missbrauchen?«
    Mein Leben lang haben mich die Menschen nach Ciceros Rede an jenem Tag gefragt. »Hat er sie vorher ausgearbeitet?«, wollten sie wissen. »Aber zumindest einen Entwurf hat er sich doch sicherlich gemacht?« Die Antwort auf beide Fragen lautete nein. Die Rede war völlig aus dem Stegreif. Fragmente von Dingen, die er schon lange zur Sprache bringen wollte, Worte, die er im Kopf geprobt hatte, Gedanken, die ihm in den schlaflosen Nächten der letzten Monate gekommen waren – all das verwob sich ineinander, während er dort stand.
    »Wie lange müssen wir deinen Wahnsinn denn noch ertragen?«
    Er stieg von seinem Podium herab und ging sehr langsam durch den Gang auf Catilina zu. Im Gehen

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