02 - Winnetou II
an und sagte nichts.
„Master Ohlert, Sir William, hört Ihr mich nicht?“ wiederholte ich. „Euer Vater sendet mich zu Euch.“
Sein leerer Blick blieb an meinem Gesicht haften, aber er sprach kein Wort. Da fuhr Gibson ihn in drohendem Ton an:
„Deinen Namen wollen wir hören. Nenne ihn sofort.“
Der Gefragte wendete den Kopf nach dem Sprecher und antwortete halblaut in ängstlichem Ton wie ein eingeschüchtertes Kind:
„Ich heiße Guillelmo.“
„Was bist du?“
„Dichter.“
Ich fragte weiter:
„Heißt du Ohlert? Bist du aus New York? Hast du einen Vater?“ Aber alle Fragen verneinte er ohne sich im mindesten zu besinnen. Man hörte, daß er abgerichtet war. Es war gewiß, daß, seit Ohlert sich in den Händen dieses raffinierten Mannes befand, sich sein Geist mehr und mehr umnachtet hatte.
„Da habt ihr euren Zeugen!“ lachte der Bösewicht. „Er hat euch bewiesen, daß ihr euch auf einem falschen Weg befindet. Also habt die Gewogenheit, uns von jetzt an ungeschoren zu lassen!“
„Will ihn doch um etwas Besonderes fragen“, sagte ich. „Vielleicht ist sein Gedächtnis doch noch stärker als die Lügen, die ihr ihm eingepaukt habt.“
Mir war ein Gedanke gekommen. Ich zog die Brieftasche hervor. Ich hatte das Zeitungsblatt mit Ohlerts Gedicht in derselben, nahm es heraus und las langsam und mit lauter Stimme den ersten Vers. Ich glaubte, der Klang seines eigenen Gedichtes werde ihn aus seiner geistigen Unempfindlichkeit reißen. Aber er blickte fort und fort auf sein Knie nieder. Ich las den zweiten Vers, ebenso vergeblich. Dann den dritten:
„Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,
Daß er vergebens um Erlösung schreit,
Die schlangengleich sich ums Gedächtnis schlingt
Und tausend Teufel ins Gehirn dir speit?“
Die letzten beiden Zeilen hatte ich lauter als bisher gelesen. Er erhob den Kopf; er stand auf und streckte die Hände aus. Ich fuhr fort:
„O sei vor ihr ja stets in wachen Sorgen – – – denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!“
Da schrie er auf, zu mir hinspringend und nach dem Blatt greifend. Ich ließ es ihm. Er bückte sich zu dem Feuer nieder und las selbst, laut, von Anfang bis zu Ende. Dann richtete er sich auf und rief in triumphierendem Ton, so daß es weit durch das nächtliche Tal schallte:
„Gedicht von Ohlert, von William Ohlert, von mir, von mir selbst! Denn ich bin dieser William Ohlert, ich selbst. Nicht du heißt Ohlert, nicht du, sondern ich!“
Die letzten Worte waren an Gibson gerichtet. Ein fürchterlicher Verdacht stieg in mir auf. Gibson befand sich im Besitz von Williams Legitimationen – sollte er, trotzdem er älter als dieser war, sich für ihn ausgeben wollen? Sollte er – – –? Aber ich fand keine Zeit, diesen Gedanken auszudenken, denn der Häuptling kam, ganz die Ratsversammlung und seine Würde vergessend, herbeigesprungen, stieß William auf den Boden nieder und gebot:
„Schweig, Hund! Sollen die Apachen hören, daß wir uns hier befinden? Du rufst ja den Kampf und den Tod herbei!“
William Ohlert stieß einen unverständlichen Klageruf aus und sah mit einem stieren Blick zu dem Indianer empor. Das Aufflackern seines Geistes war plötzlich wieder erloschen. Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und steckte es wieder zu mir. Vielleicht gelang es mir mit Hilfe desselben später wieder, ihn zum Bewußtsein seiner selbst zu bringen.
„Zürne ihm nicht!“ bat Old Death den Häuptling. „Sein Geist ist umnachtet. Er wird fortan ruhig sein. Und nun sage mir, ob diese beiden Männer die Topias sind, von denen du zu mir sprachest!“
Er deutete auf zwei indianisch gekleidete Gestalten, welche mit an dem Feuer der Weißen saßen.
„Ja, sie sind es“, antwortete der Gefragte. „Sie verstehen die Sprache der Comanchen nicht gut. Du mußt mit ihnen in der Sprache der Grenze reden. Aber sorgt dafür, daß dieser Weiße, dessen Seele nicht mehr vorhanden ist, sich still verhalte, sonst muß ich ihm den Mund verbinden lassen!“
Er kehrte wieder zu dem Feuer der Beratung zurück. Old Death entfernte sich noch nicht, ließ vielmehr seinen Blick scharf und forschend über die beiden Indianer gleiten und fragte den Ältesten von ihnen:
„Meine roten Brüder sind von dem Hochland von Topia herabgekommen? Sind die Krieger, welche da oben wohnen, die Freunde der Comanchen?“
„Ja“, antwortete der Mann. „Wir leihen unsere Tomahawks den Kriegern der Comanchen.“
„Wie kommt es aber, daß eure
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