02 - Winnetou II
zum Fernrohr und gewahrte zu meiner Verwunderung, daß die eine der beiden Personen nicht ein Mann, sondern, in dieser Gegend eine Seltenheit, ein noch ziemlich junger Knabe war.
„Alle Wetter, ein Kind hier mitten in der Prärie, und gar in echter Trapperkleidung!“ fuhr es mir über die Lippen, und erwartungsvoll schob ich Revolver und Bowiemesser, welche ich vorsichtig gelockert hatte, wieder zurück.
„Ist der Mann dabei einer jener extravaganten Yankees, welche zu allem Außerordentlichen fähig sind, oder ist es gar der ‚flats ghost‘, der Geist der Ebene, welcher nach dem Glauben der Indianer des Nachts auf feurigem Roß und am Tage unter allerlei trügerischen Gestalten über die Woodlands reitet, um die weißen Männer in das Verderben zu locken, und der Knabe ein weißer Geisel, welchen er aus dem Osten entführt hat?“
Ich musterte mit einigen Bedenken meinen äußern Adam, welcher allerdings nicht das Geringste von alledem, was ein Gentleman in Gesellschaft an und um sich zu tragen pflegt, aufzuweisen hatte. Die Mokassins waren mit der Zeit höchst offenherzig geworden; die Leggins glänzten, da ich die löbliche Gewohnheit aller Jäger, die Hosenbeine bei Tafel als Serviette und Wischtuch zu gebrauchen, angenommen hatte, von Büffeltalg und Waschbärfett; das sackähnliche, lederne Jagdhemd, welches alle Temperaturen und atmosphärischen Kalamitäten mit anerkennungswerter Aufopferung ertragen hatte, gab mir das Aussehen einer von Wind und Wetter malträtierten Krautscheuche, und die Bibermütze, welche mein Haupt bedeckte, war mir nicht nur viel zu weit geworden, sondern hatte auch den größten Teil ihrer Haare verloren und schien zu ihrem Nachteil mit den verschiedenen Lagerfeuern in sehr intime Bekanntschaft geraten zu sein.
Glücklicherweise befand ich mich nicht im Parkett eines Opernhauses, sondern zwischen den Black-Hills und dem Felsengebirge und hatte auch gar keine Zeit, mich zu ärgern, denn noch war ich mit meiner Selbstbetrachtung nicht ganz zu Ende, so hielten die beiden schon vor mir; der Knabe hob den Griff seiner Reitpeitsche grüßend in die Höhe und rief mit heller Stimme:
„Good day, Sir! Was wollt Ihr finden, daß Ihr so an Euch herumsucht?“
„Your savant, mein Männchen! Ich knöpfe mein Panzerhemd zu, um unter dem forschenden Blick Eures Auges nicht etwa Schaden zu leiden.“
„So ist es wohl sehr verboten, Euch anzusehen?“
„O nein, doch nehme ich natürlich an, daß mir die Erlaubnis zur Gegenbetrachtung nicht versagt wird.“
„Gegen einen Ritter mit Biberhelm und Karfunkelpanzer muß man gefällig sein. Schlagt Euer fürchterliches Visier also empor, und schaut mich an!“
„Danke, so wollen wir uns denn einmal nach Herzenslust begucken, wobei ich allerdings wohl besser wegkomme als Ihr, denn Euer Habitus ist noch ziemlich neu und gentlemanlike.“ Und meinen Mustang auf den Hinterbeinen herumdrehend, fügte ich hinzu: „So, da habt Ihr mich von allen Seiten, zu Pferd und in Lebensgröße! Wie gefalle ich Euch?“
„Wartet ein wenig, und seht auch mich erst an!“ erwiderte er lachend, zog sein Tier vorn in die Höhe und präsentierte sich durch eine kühne Wendung in derselben Weise, wie ich es getan hatte. „Jetzt ist die Vorstellung eine vollständige, und nun sagt erst Ihr, wie ich Euch gefalle!“
„Hm, nicht übel! Wenigstens scheint Ihr mir passabel genug für diesen Ort hier. Und ich?“
„So so, la la! Nur muß man sich hüten, Euch näher zu kommen, als es gewisse Bedenken gestatten.“
„Ja, wenn man den Mann nicht rechnet, so ist der Reiter ganz prächtig“, meinte sein Begleiter in wegwerfendem Ton, indem er Swallow mit bewunderndem Blick betrachtete. Ich beachtete diese Beleidigung nicht und entgegnete dem Knaben, der eine für sein Alter außerordentlich gewandte Umgangsform zeigte:
„Eure Bedenken sind gerecht, Sir, doch wird mich die Wildnis entschuldigen, in der wir uns befinden.“
„Die Wildnis, so seid Ihr wohl fremd hier?“
„So fremd, daß ich bereits einen ganzen Tag lang die richtige Hausnummer vergebens suche.“
„So kommt mit uns, wenn Ihr sehen sollt, wie ungeheuer groß die Wildnis ist!“
Er wandte sich der Richtung zu, welche ich verfolgt hatte, und ließ sein Pferd vom langsamen Schritt durch alle Gangarten bis zum gestreckten Galopp übergehen. Swallow folgte mit Leichtigkeit, obgleich wir vom grauenden Morgen an unterwegs gewesen waren. Ja, das brave Tier schien zu bemerken, daß es sich hier
Weitere Kostenlose Bücher