02 - Winnetou II
Männer auch beobachtet?“
„Ich sah, daß Old Shatterhand Mißtrauen gefaßt hatte, und hielt darum meine Augen auch offen. Es war mir aber schon vorher verschiedenes aufgefallen.“
„Was?“
„Mein Bruder wird es erraten.“
„Wohl die Bandagen?“
„Ja. Der eine hat den Kopf verbunden, und der andere trägt den Arm in der Binde. Diese Blessuren sollen von dem gestrigen Zusammentreffen mit den Okananda-Sioux herstammen. Glaubst du das?“
„Nein; ich denke vielmehr, daß diese Leute gar nicht verwundet worden sind.“
„Sie sind es nicht. Seit wir sie getroffen haben, sind wir an zwei Wassern vorübergekommen, ohne daß sie haltengeblieben sind, um ihre Wunden zu kühlen. Wenn aber die Blessuren erlogen sind, so ist es auch eine Lüge, daß sie von den Okanandas überfallen und ausgeraubt wurden. Und hat mein weißer Bruder sie beim Essen beobachtet?“
„Ja. Sie aßen viel.“
„Aber doch nicht soviel und so hastig wie einer, der seit gestern nur Beeren und Wurzeln genossen hat. Und am oberen Turkey-Creek wollen sie überfallen worden sein. Können sie sich da jetzt schon hier befinden?“
„Das weiß ich nicht, weil ich am oberen Creek noch nicht gewesen bin.“
„Sie könnten nur dann hier sein, wenn sie geritten wären. Also haben sie entweder Pferde, oder sie sind nicht am oberen Turkey gewesen.“
„Hm! Gesetzt, sie haben Pferde, warum leugnen sie es, und wem haben sie die Tiere anvertraut?“
„Das werden wir erforschen. Hält mein Bruder Old Shatterhand den Pedlar für einen Feind von ihnen?“
„Nein; er verstellt sich.“
„Das tut er; ich sah es auch. Er kennt sie. Vielleicht gehört er gar zu ihnen.“
„Warum aber diese Heimlichkeit? Welchen Grund und welchen Zweck kann sie haben?“
„Das können wir nicht erraten, aber wir werden es erfahren.“
„Wollen wir es ihnen nicht gleich in das Gesicht sagen, was wir von ihnen denken?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil ihre Heimlichkeit auch eine Ursache haben kann, welche uns nichts angeht. Diese vier Männer können trotz des Mißtrauens, welches sie in uns erwecken, ehrliche Leute sein. Wir dürfen sie nicht kränken; wir dürfen nicht eher etwas sagen, als bis wir überzeugt sind, daß sie böse Menschen sind.“
„Hm. Mein Bruder Winnetou beschämt mich zuweilen. Er besitzt manchmal weit mehr Zartgefühl als ich.“
„Will Old Shatterhand mir damit vielleicht einen Vorwurf machen?“
„Nein. Winnetou weiß, daß mir dies fernliegt.“
„Howgh! Man soll keinem Menschen ein Leid antun, bis man weiß, daß er es verdient. Es ist besser, ein Unrecht erleiden, als eins begehen. Mein Bruder Shatterhand mag nachdenken. Hat der Pedlar einen Grund, Böses gegen uns im Schilde zu führen?“
„Ganz und gar nicht. Er hat vielmehr alle Ursache, sich freundschaftlich gegen uns zu stellen.“
„So ist es. Er will unsere Vorräte sehen; sein Herr soll ein gutes Geschäft mit Old Firehand machen. Dies kann aber nicht geschehen, wenn unterwegs etwas Feindseliges gegen uns ausgeführt wird. Man würde von uns nie erfahren, wo Old Firehand mit seinen Schätzen sich befindet. Also selbst wenn dieser Händler für später eine böse Tat planen sollte, bis er die Vorräte gesehen hat, haben wir nichts von ihm zu fürchten. Stimmt mir mein Bruder bei?“
„Ja.“
„Und nun die drei Männer, welche sich für Überfallene Ansiedler ausgeben …“
„Sie sind es nicht.“
„Nein; sie sind etwas anderes.“
„Aber was?“
„Mag es sein, was es wolle, solange wir uns unterwegs befinden, haben wir auch von ihnen nichts Böses zu erwarten.“
„Aber dann vielleicht? Wenn wir mit ihnen in der ‚Festung‘ angekommen sind?“
„Uff!“ lächelte Winnetou vor sich hin. „Mein Bruder Shatterhand hat wieder einmal dieselben Gedanken wie ich!“
„Das ist kein Wunder; diese Vermutung liegt so nahe; es gibt fast keine andere.“
„Daß diese vier alle Händler sind und zusammengehören?“
„Ja. Corner sagte ja gestern, daß Burton, der Pedlar, mit vier oder fünf Gehilfen arbeite. Vielleicht heißt dieser angebliche alte Warton Burton. Beide Namen klingen einander ähnlich. Er ist in der Nähe von Corners Settlement gewesen, und Rollins, der Gehilfe, war in der Nacht fort. Er hat seinen Herrn von dem großen Geschäft, welches er machen kann, benachrichtigt, und dieser hat sich mit zwei anderen Gehilfen unterwegs zu uns gesellt.“
„Aber in welcher Absicht? In guter oder in böser? Was meint mein
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