02 Winter am Ende der Welt
Extras, die das Leben erst so richtig schön machen) ...
Für was könnte ich geeignet sein? Mir fällt nichts ein. Mir fällt doch wirklich und wahrhaftig nichts ein. Mich beschleicht die Vermutung: Ich bin für nichts geeignet. Ich kann nichts, das irgendjemand so sehr braucht, dass er dafür Geld bezahlen würde.
Ich versuche es mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln. Ich lege Listen mit Berufen an. Ich mache ausufernde Mindmaps, für die ich Annas Zeichenpapier und Buntstifte missbrauche. Ich nehme eins von Jans Angelbleien, hänge es an eine Angelschnur und pendle. Ich google im Internet, wie man pendelt und versuche es dann nochmal. Ich lese in Cool Career for Dummies , das hier bei Anna im Bücheregal steht. Ich pendle über den Cool Careers Yellow Pages. Aber ich komme zu keinem Ergebnis. Ich denke, ich mache es jetzt mal ganz praktisch. Ich gucke mir an, womit die anderen um mich herum ihr Geld verdienen und vielleicht ist ja dann was für mich dabei.
Anna lebt von Übersetzen und Dolmetschen. Das könnte ich natürlich auch versuchen, aber ich weiß auch, es ist nicht einfach, da in meinem Alter völlig neu reinzukommen. Und ich weiß von Anna auch, dass man ein Spezialgebiet braucht, eigentlich, und das habe ich natürlich nicht. Und ich weiß auch, dass es für Anna nicht immer einfach ist, genügend Aufträge zu finden.
Paul macht auch Übersetzungen, aber er unterrichtet außerdem noch Deutsch und Englisch und Französisch und er arbeitet nebenher als Statist bei Filmaufnahmen und als Stadtführer für Vancouver, um über die Runden zu kommen.
Alan produziert Filme für Erwachsene und Clara schreibt Kitschromane. Jorges Mutter hat die Rente von ihrem verstorbenen Mann und diese Rente ist erstaunlich hoch, weil der Mann Beamter war. Carl wurstelt auf seiner historischen Farm rum und man weiß nicht so genau, wovon er eigentlich lebt. Jeff stellt Webseiten auf und bekommt das gut bezahlt. April ist Lehrerin hier im Dorf. Jorge ist Professor für Romanistik. Miguel Moreira hat Geld geerbt. Und Architekt ist er noch obendrauf. Er muss nicht arbeiten und hat einen Beruf, den er liebt. Das ist natürlich die schönste Variante.
Aber ich habe kein Erbe, keine Rente, kann keine Webseiten aufstellen, bin keine Lehrerin, keine Dozentin, habe nicht Architektur oder was anderes Nützliches studiert oder gelernt und kann auch keine Filme produzieren oder Kitschromane schreiben.
Hilft mir diese Liste also jetzt irgendwie weiter?
Nicht die Bohne. Im Gegenteil. Sie deprimiert mich. Sie zeigt mir, was ich schon vorher geahnt habe: Alle anderen schaffen es irgendwie und nur ich bin zu doof.
Ich schreibe eine Mail an Clara und Anna und frage sie, ob sie vielleicht eine Idee haben, was ich machen könnte, aber es kommt keine Reaktion und bestätigt damit, was ich auch schon geahnt habe. Sie wissen auch nicht, was ich machen kann. Was habe ich mir damals nur dabei gedacht, als ich anfing Romanistik zu studieren?
Das Ergebnis meiner bisherigen Überlegungen sieht also so aus.
Berufe, von denen ich in letzter Zeit gehört habe (abgesehen von den oben genannten) und von denen andere anscheinend leben können, für die ich aber auch nicht geeignet bin:
Stand-up Comedian wie der Freund von Clara und Alan (das könnte ich einfach nicht, mir fällt ja schon im Gespräch oft nicht die richtige Antwort ein, erst später, wenn ich zu Hause bin, da macht es endlich klick)
Schauspieler in einem von Alans Filmen (Nicht, dass es zur Debatte stünde, ich bin ja viel zu alt)
Kurierfahrer auf The Road
Schauspieler überhaupt, denn a) kann ich mich nicht gut verstellen, b) bin ich zu schüchtern und c) habe ich vermutlich auch gar kein Talent
Berufe, von denen ich in letzter Zeit gehört habe, für die ich geeignet bin:
Keiner
Nicht ein einziger
Mist, Mist, Mist
***
Der Quilting-Workshop ist klasse. Wir sind in der Schule, April stellt mich vor. Sie sagt: Das ist Jasmin. Und die Frauen sagen praktisch im Chor: Hi Jasmin. Und April sagt: Das klingt ja wie bei den anonymen Alkoholikern, und alle lachen.
Janet rückt ein Stück zur Seite und ich darf mit Janet und April an einem Tisch sitzen. April drückt mir ein Paket in die Hand – das ist der Stoff, den sie für mich aus der Stadt mitgebracht hat. Ich mache das Paket auf und finde zwölf Stücke Stoff in sechs Farben und Mustern. Und ein großes Stück Stoff und die Wattierung. Und noch ein Stück für die Umrandung. Das große Stück
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