02 Winter am Ende der Welt
nicht dabei“, sagt Jorge. „Mutter sagt, mit den Vanillekipferln ist was schief gegangen.“
In der Tat. Kann man wohl sagen. Aber gründlich.
„Möchtest du, dass ich ausziehe?“, fragt Jorge.
„Was?“, sage ich.
„Wenn du die Wohnung behalten willst, dann ist das okay“, sagt Jorge. „Dann suche ich mir was Anderes.“
Ich gucke mich in der Wohnung um, in der ich so viele Jahre gewohnt habe. In der ich gekocht, geputzt und gegessen habe. In der ich zwei Kinder großgezogen habe. Das kombinierte Wohn-Eßzimmer, wo wir mit der Familie doch wirklich viel Spaß hatten. Das Schlafzimmer, wo Jorge und ich ja auch viel Spaß hatten, jetzt mal ganz ehrlich. Das Arbeitszimmer mit dem Papierchaos. Das ehemalige Kinderzimmer, das eigentlich mein Raum werden sollte, aber den ich mir nie eingerichtet habe, weil ich gar nicht so recht wusste, wofür oder wozu.
„Oder ich bleibe hier und wir suchen was Anderes für dich“, sagt Jorge.
Alles an dieser Wohnung wird mich immer an Jorge erinnern. Das tue ich mir nicht an. Aber will ich woanders hin? Nein, irgendwie nicht.
„Nein“, sage ich.
„Nein zu was?“, fragt Jorge.
„Nein zu allem“, sage ich.
Und so kommt es, dass ich am nächsten Tag schon wieder stundenlang im Flugzeug sitze. Schon wieder in Amsterdam Fastfood esse und durch den Flughafen-Buchladen schlendere, um die Zeit totzuschlagen. Kurz darauf bin ich wieder am Ende der Welt. Abgeschieden. Einsam. Alleine. Der einzige Vorteil von dieser merkwürdigen Vanillekipferl-induzierten Reise ist in der Tat, dass ich keinen Jetlag habe, weil ich nicht lange genug in der anderen Zeitzone war, um mich umzustellen. Mein Körper hat das praktisch gar nicht mitbekommen, so schnell war ich wieder hier.
Aber sonst hat er viel mitbekommen. Mir ist so elend, dass mir die Nieren weh tun. Ich liege auf dem Bett, ich höre keine Musik, ich lese keine Bücher.
Das bin ich. Jasmin Monteiro. Anfang fünfzig. Ohne Beruf. Ohne Wohnung. Ohne Ehemann. Ohne Aussicht auf eine vernünftige Zukunft.
Es gab da mal diese Visitenkarte, die reichten wir rum, als wir jung waren. Wir fanden das damals witzig, warum, kann ich im Moment nicht so recht nachvollziehen. Auf der Karte stand: kein Name, kein Titel, kein Bock . Und sonst nichts. Keine Adresse, keine Telefonnummer, nichts weiter.
So eine Karte sollte ich mir wieder drucken lassen.
Als ich aufwache, stehen Carl, Jeff und April an meinem Bett. Was machen sie hier? Wie sind sie reingekommen?
„Anna hat in der Baustoffhandlung einen Ersatzschlüssel fürs Haus“, sagt April. „Den haben wir geholt.“
„Wir wollten nur gucken, ob alles okay ist mit dir“, sagt Carl.
„Wir haben uns Sorgen gemacht“, sagt Jeff.
„Ich habe dir eine Suppe mitgebracht“, sagt Carl. „Du musst was essen.“
„Wenn du willst, lasse ich dir Peppermint für ein paar Tage da“, sagt April. „Das ist kein Problem, ich muss sowieso zum Arzt in der Stadt.“
Ich bleibe einfach liegen. Ich sage nichts. Ich schließe wieder die Augen.
„Na, nun steh schon auf“, sagt April und schlägt einfach die Decke zurück.
Die beiden Männer gehen in die Küche, um die Suppe aufzuwärmen und den Tisch zu decken und April hilft mir aus dem Bett. Ich stelle vorsichtig die Füße auf den Boden. Der Boden gibt nicht nach. Ich stehe vorsichtig auf. Ich falle nicht um. Ich gehe einen kleinen Schritt. Aber wohin, wohin, wohin soll ich gehen?
„Als erstes gehst du mal ins Bad“, sagt April. „Wird nämlich Zeit.“
Wir essen erst die Suppe und dann die Weihnachtskekse. Rumkugeln und Zimsterne. Die Vanillekipferl sind ja alle. Zum Glück. Dann darf ich wieder ins Bett. Peppermint darf sich vors Bett legen und April deckt mich mit meinem neuen Quilt zu und Carl bringt mir einen Kamillentee.
„Geht´s dir wieder besser?“, fragt Jeff.
Ich nicke.
„Ich komme morgen wieder, okay?“, sagt Carl.
Ich nicke.
„Soll ich dir was aus der Stadt mitbringen?“, fragt April.
Ich schüttle den Kopf. Alles, was ich haben möchte, ist in einer Stadt sehr weit weg und gehört jetzt Catarina.
Die drei gehen und ich nehme Claras Buch in die Hand. Peppermint hat die Augen geschlossen und ab und zu zucken ihre Pfoten im Schlaf. Ich liege unter meinem neuen Quilt. Noch vor zwei Wochen waren das doch im Grunde einfache Stoffstücke. Aber jetzt in dieser Kombination ist es geradezu ein Kunstwerk. Ein bisschen Blau, ein bisschen Grün, ein bisschen Apricot und schon ist es eine wärmende Decke.
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