02 Winter am Ende der Welt
recht. Ich habe das zu verbissen gesehen. Und Clara hat auch recht. Treue wird überbewertet, was ist schon so schlimm da dran, dass er mich ein paar Mal betrogen hat, und plötzlich wird mir auch klar, was Clara in ihrer Widmung mit dem: Da war doch was gemeint hat.
Meine Affäre mit Tiagos Deutschlehrer damals. Wolfgang. Lehrer an der deutschen Schule. Das hatte ich ganz vergessen. Es war gleich, nachdem wir die Kinder in der deutschen Schule eingeschult hatten, damit sie richtig Deutsch lernen, nicht nur sprechen, sondern auch schreiben. Ich habe Jorge nie von Wolfgang erzählt. Ich habe meine Affäre nie gebeichtet, ich wollte schon, einerseits, aber ich konnte nicht, andererseits, und ich habe es erst vor mir her geschoben und dann bei mir behalten, vielleicht um es mal irgendwann einzusetzen, und vielleicht auch, weil es fast mehr als eine Affäre war, denn ich war in Wolfgang so richtig verliebt.
Ich hätte das beichten müssen.
Wer bin ich, dass ich Jorge seine Affären vorwerfe und selber eine hatte. Ich glaube, ich habe ihm unrecht getan. Er ist ein netter Mann. Und Anna hat recht. Wenn man seine Liebe behalten will, dann muss man was dafür tun und dafür kämpfen und ich denke, ich hätte mehr tun müssen. Wir hätten reden können. Ich bin einfach weggelaufen. Ich habe ihm nicht mal gesagt, warum, ich meine, ich habe ihm nicht gesagt, warum gerade zu diesem Zeitpunkt. Ich habe einfach nur gesagt: ich gehe. Und jetzt tut es mir leid, leid, leid, es tut mir so leid, ich merke, ich liebe Jorge, mein Gott, ich liebe ihn, ich vermisse ihn, ich will ihn zurück, ich will ihn zurück, ich will ihn zurück ...
Jeff macht die Tür auf und sieht auf mich und meinen kleinen blauen Rucksack. Wie bin ich hierher gekommen?
„Kannst du mich zum Flughafen bringen?“, frage ich Jeff.
Aber es ist mehr eine Aufforderung als eine Frage. Jeff sieht runter auf den Anleger für die Wasserflugzeuge. Ich folge seinem Blick.
„Zu einem richtigen Flugzeug“, sage ich.
„Okay“, sagt Jeff erstaunlicherweise und ohne irgendwelche Fragen zu stellen und holt den Schlüssel für seinen Jeep, und zum ersten Mal in meinem Leben fahre ich über The Road. In einem ziemlichen Tempo, damit ich das letzte Flugzeug von Campbell River nach Vancouver noch erwische. Und ja, die Abhänge sind tief. Ganz besonders, wenn der Blick durch Spezial-Vanillekipferl geschärft ist.
Ich steige in Campbell River ins Flugzeug. Ich wechsle in Vancouver das Terminal und steige in ein Flugzeug nach Amsterdam. Und von dort wird es nach Lissabon gehen. Ich lerne: Solche ungebuchten Spontanflüge sind möglich aber teuer und ich hoffe, dass ich das Geld für sowas nie mit Patchwork-Decken zusammenähen muss, denn das könnte schwierig werden.
Irgendwann schräg nördlich hoch über Edmonton lässt die Wirkung der Weihnachtskekse nach und ich komme zu mir. Aber jetzt ist es natürlich zu spät um auszusteigen. Jetzt muss ich die Reise weitermachen. Ich verbringe fast dreißig Stunden im Transit und dann stehe ich vor unserer Wohnung in der Rua Francisco Metrass.
Es ist Mitternacht.
Ich überlege, ob ich einfach aufschließen soll, aber dann entscheide ich mich doch zu klingeln. Weiß gar nicht, ob das jetzt so eine gute Idee war, hier einfach aufzukreuzen.
Ich klingle.
Ich höre Schritte, die Tür geht auf und da steht Jorge und ich falle in seine Arme. Ich denke: das Leben kann so einfach sein und warum habe ich das vorher nicht gesehen.
Wir gehen ins Wohnzimmer und Jorge sagt: setz dich erstmal, ich mache uns einen Tee.
Ich sitze in meiner alten Wohnung, alles ist so vertraut und doch so fremd, ein ganz merkwürdiges Gefühl. Jorge bringt ein Tablett mit der Teekanne und zwei Bechern und einem Teller Weihnachtskekse. Er stellt das Tablett ab und ich stehe wieder auf und gehe zu ihm. Ich möchte, dass er mich in die Arme nimmt, ich möchte, das alles wieder gut wird, ich möchte, na, alles eben ...
Jorge küsst mich erst, seufzt und schiebt mich dann von sich weg.
„Tut mir leid“, sagt er. „Ich bin jetzt mit der Catarina zusammen.“
Ja und?
„Und Untreue ist ja nicht mehr“, sagt Jorge. „Ich habe meine Lektion gelernt.“
Wie war das noch bei Leigh Michaels? Die Heldin zähmt und zivilisiert den Helden. Aber irgendwas ist hier doch gründlich schief gegangen. Ich gucke auf den Teller mit den Weihnachtsplätzchen. Rumkugeln, Zimtsterne, keine Vanillekipferl.
„Keine Vanillekipferl?“, frage ich.
„Waren dieses Jahr
Weitere Kostenlose Bücher