02 Winter am Ende der Welt
Bombenstimmung. Die wir ganz nach original irischer Art flüssig anheizen.
Am nächsten Morgen werden wir bestimmt alle einen kollektiven Kater haben. Einen Gesamt-Dorf-Kater, sozusagen. Aber was soll´s. Das ist es doch allemal wert, oder etwa nicht?
XI
Joana und meine Schwiegermutter werden gegen Mittag von Jeff abgeholt, er wird sie nach Nanaimo bringen, von dort werden die beiden nach Vancouver fliegen und dann weiter nach New York, wo Maria Teresa noch zwei Wochen mit Joana verbringen wird, ehe sie wieder nach Lissabon zurückfliegt. Jetzt ist sogar meine Schwiegermutter bald in New York. Nur ich – ich bin noch nie da gewesen.
Ich bin ja so froh, dass ich das noch erleben darf, sagt meine Schwiegermutter, was ist das doch für ein Glück, dass es die Joana gibt. Ich sage nichts dazu, denn ich kann mich immer noch nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es ein Glück ist, dass es die Joana gibt.
Wir stehen alle vor dem Haus und nehmen Abschied. Ich verabschiede mich zum ersten Mal in meinem Leben ungern von meiner Schwiegermutter, denn eigentlich waren es nette Tage hier mit ihr. Ich nehme die Joana in den Arm und drücke sie. Sie ist wirklich ein nettes Mädchen und ich kann in ihr Jorge sehen, und eine Ähnlichkeit mit Nicole, das irritiert mich irgendwie, natürlich. Und gleichzeitig hat es etwas Nettes, was Familiäres.
Plötzlich kommt April. Sie hat einen kleinen Rucksack in der einen Hand und Peppermint an der Leine in der anderen Hand und sie sagt zu Jeff, dass sie gestern bei Kathleen war, um ihre Rechnung zu bezahlen. Jeff sagt nichts.
„Aber es gab gar keine Rechnung“, sagt April.
Jeff sagt immer noch nichts.
„Kann ich mitfahren?“, fragt April.
Jeff sagt immer noch nichts.
„Es tut mir leid“, sagt April. „Es tut mir wirklich und von Herzen leid, dass ich dich so falsch eingeschätzt habe. Dass ich dir so misstraut habe. Können wir nicht noch mal von vorne anfangen? Bitte.“
Jetzt endlich nickt Jeff und nimmt April den kleinen Rucksack ab und stellt ihn in den Kofferraum. Und was ist mit der Schule, will Jeff wissen, muss April nicht unterrichten? Aber April sagt, sie hat sich in der Schule krank gemeldet (liebeskrank, wahrscheinlich) und Peppermint ist kein Problem, die wird von Jasmin gehütet, nicht wahr, Jasmin?
Und schon habe ich Peppermints Leine in der Hand. Peppermint guckt vertrauensvoll zu mir hoch. Und irgendwie ist das doch bewundernswert, wie schnell der kleine Hund sich mit wechselnden Umständen anfreundet und nur das Beste erwartet.
„Kein Prozac?“, frage ich.
„Kein Prozac“, sagt April. „Wir wollen das jetzt so schaffen, nicht wahr, Peppermint?“
Und dann sind alle weg und ich wieder alleine. Das sollte ich vielleicht ausnutzen und weiter überlegen, was ich mit meinem Leben anfangen will. Ich bin da doch noch kein Stück weiter, oder? Ich weiß immer noch nicht, was ich mit meinem Leben machen kann oder will. Langsam nervt es mich selber. Warum bin ich zu blöde? Warum fällt mir nichts ein? Andere schaffen es doch auch.
Joana wird übrigens Hutmacherin, genau wie die Johanna in dem Buch von Clara. Ich habe zu Joana gesagt, dann hat die Clara das also von dir. Und Joana hat gesagt, nein, umgekehrt, ich habe es aus dem Buch, denn anders kommt es zeitlich ja auch gar nicht hin, nicht wahr. Das Buch ist schon ein paar Jahre alt und ich bin doch erst jetzt mit der Schule fertig. Ich bin die Vorlage für die Johanna, das ist schon wahr, aber ich werde Hutmacherin, weil die Johanna Hutmacherin geworden ist und ich das einen schönen Beruf finde, da ist die Johanna die Vorlage für mich. Das ist eine merkwürdige Verkettung von Leben und Fiktion und ich schaffe es nicht, da jetzt genauer drüber nachzudenken, was da der Anlass für was war, das ist mir jetzt zu viel.
Als ich nach oben komme, liegt ein kleines Päckchen neben meinem Computer. Daneben ein eingerolltes Papier, mit Band und Siegel zusammengehalten. Ich breche das Siegel auf und mache das Band ab. Rolle das Papier auf. Es ist ein Brief.
Liebe Frau Monteiro,
mein Name ist Benjamin Walter. Ich bin Joanas Vater. Nicht ihr biologischer Vater – das wissen Sie ja auch – aber ich habe Joana großgezogen und sie ins Leben begleitet. Sie ist meine Tochter und sie wird es immer sein.
Ich verstehe, dass die ganze Situation für Sie nicht einfach ist. In meiner Arbeit als Juwelier habe ich die tägliche Herausforderung, verschiedene Materialien so zusammenzufügen, dass es ein
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