02 Winter am Ende der Welt
gelungenes Ganzes ergibt.
Wie ich hörte, sind Sie eine talentierte Quilterin, und ich denke, somit haben auch Sie die Fähigkeit, einzelne Teile zu einem stimmigen und schönen Ganzen zusammenzufügen.
Als Zeichen meiner Anerkennung und Wertschätzung erlaube ich mir, Ihnen beiliegendes Schmuckstück zu schenken.
Ihr Benjamin Walter
Benjamin Walter. Und woher weiß er nun, dass ich eine talentierte Quilterin bin? Vermutlich über Joana und dieses Foto auf Facebook, ich mit dem Quilt und dem kaputten Daumen, dieses Facebook ist doch die größte Klatschbörse der Welt. Und so genial, weil man nicht mal offen klatschen muss, man kann es einfach am Computer tun. Gleich morgens als erstes. Hinter dem Rücken aller, sozusagen. Wenn man will jederzeit. Und dazu noch weltweit. Und ehrlich gesagt, ich mache es ja auch. Und zwar so richtig gerne.
Benjamin Walter, wo habe ich den Namen nur schon mal gehört ... Natürlich – er ist ein bekannter New Yorker Juwelier, ich habe neulich einen Artikel über ihn gelesen, in einer dieser vielen Zeitschriften, die hier in Annas Haus rumfliegen, weil sie ein Zeitschriftenjunkie ist. Ja klar, dieser Benjamin Walter ist der Benjamin Walter und damit der Juwelier New Yorks.
Ich öffne die Schachtel und sie enthält – wie jetzt ja auch schon von mir erwartet – ein Schmuckstück. Beziehungsweise zwei. Eine Kette mit Anhänger und eine dazu passende Brosche. Aus Silber oder sogar Platin (bin keine Expertin, habe nie viel Schmuck getragen, zumindest keinen echten, dazu fehlt in einem Haushalt mit einem Einkommen und zwei Kindern ja schlicht und einfach auch das Geld, nicht wahr), mit blauen Steinen, bestimmt Edelsteine, welche, kann ich nicht sagen.
Die Brosche ist ein paar Zentimeter groß und rund, aber es fehlt ein Teil, sieht aus wie rausgebrochen. Das fehlende Teil ist der Anhänger. Wenn man beides zusammenfügt, ergibt es ein Ganzes. Beides sind Stücke, die man sieht und sofort weiß: das sind echte Designer-Teile. Was sie ja auch sind. Beide Teile sind signiert beziehungsweise gestempelt: BWNY .Das steht, na logo, für Benjamin Walter New York. Wow. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine Kette und eine Brosche von BWNY besitzen würde. Wow.
Ist schon verrückt: Damals, als ich die Tür meiner Wohnung in Lissabon vor der Nase des bebrillten Seitensprunges meines Mannes zuschlug, hätte ich doch nie gedacht, dass mir genau diese Geste gute zwanzig Jahre später mal ein Schmuckstück von einem angesagten Designer aus New York bescheren würde. Das ist doch wieder mal der klassische Butterfly-Effekt. Und zwar vom Feinsten.
Peppermint liegt zufrieden auf dem Teppich und ich gucke zufrieden in Facebook. Super Fotos drinnen von gestern Abend. Das war Jeff natürlich. Die irische Musik. Die tanzenden Leute. Die riesige Pizza. Das schönste Foto: Carl und ich mit einer riesigen Pizza, bereit da reinzubeißen, jeder von einer Ecke. Getagt und kommentiert von Jeff.
Jasmin Monteiro und Carl Lawrence teilen immerhin schon einmal eine Pizza.
Super. Sieht klasse aus. Nur Teile von unseren Gesichtern, die mit großen Augen in die Kamera gucken und im Mittelpunkt der vampirmäßig an der Pizza angesetzte Biss. Jeder von einer Seite. Klasse. Nehme ich doch gleich mal als Profilbild, sieht doch super aus.
Da ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, jetzt hier so plötzlich ganz alleine, und geputzt ist ja auch schon, die ganze Wohnung ist so sauber wie nie zuvor, nicht mal die Fenster müssen geputzt werden, der Blick auf Rugged Mountain und den Fluss ist ungetrübter denn je, und Cool Career for Dummies kenne ich ja jetzt mittlerweile praktisch auswendig, ohne dass mir das allerdings auch nur irgendwie irgendwas gebracht hat, und weil es ja immer heißt, dass man durch Gehen an der Luft auf neue Gedanken kommt, weil der Kopf durchgepustet wird und weil mein morgendlicher Skype mit Anna oder Clara wegfällt, weil ich ja immer noch nicht mit den beiden rede, und weil ja Peppermint bewegt werden muss, nehme ich den Pudel an die Leine und stehe vor der Entscheidung: Leiner River Trail, West Bay Trail oder Müllkippe.
Als wir von der Müllkippe zurückkommen, steht meine Entscheidung fest: ich werde mit meinem neuen Stoff einen neuen Quilt nähen. Und während ich die Teile der Patchworkdecke zusammenfüge, fügt sich vielleicht auch mein Leben zusammen, wer weiß. Ich mache den Esstisch frei und fange an. Ich lege die Gummimatte auf den Tisch, damit ich hier nicht
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