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02 Winter am Ende der Welt

02 Winter am Ende der Welt

Titel: 02 Winter am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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Annas Esstisch beschädige (rücksichtsvoll, nicht wahr, trainierte Hausfrau eben) und fange an, die fat quarters in Streifen zu schneiden. Fat quarter ist ja auch ein merkwürdiges Wort. Es bedeutet, dass man einen Viertel Yard Stoff kauft, aber eben nicht einen Viertel Yard hoch, sondern einen halben Yard hoch und dafür nur die Hälfte der Breite. Leuchtet doch ein – oder? Das ist ein fat quarter .
    Ich falle völlig in meine Patchworkdecke. Ich messe, schneide, nähe, kombiniere, probiere Muster, ändere, trenne, messe, schneide, nähe und der Quilt wächst unter meinen Händen. Ab und zu gehe ich mit Peppermint nach draußen. Bin dem Schicksal dankbar, dass es mir diesen Hund geschickt hat, sonst würde ich ja überhaupt nicht mehr vor die Tür gehen.
    Das wird ein super Quilt. Während ich so nähe, denke ich vor mich hin, nicht, dass ich mit meiner Berufsentscheidung irgendwie weiterkäme, das nicht. Aber ich merke plötzlich, dass ich mich noch nicht bei Joanas Vater, also bei Joanas Stiefvater, für den wunderschönen Schmuck bedankt habe. Ich müsste ihm einen Brief schreiben, aber hier ist kein Drucker.
    Und es braucht doch in der Tat eine Weile, bis ich merke: man kann Briefe auch mit der Hand schreiben. In der Tat war das ja lange Zeit – vor LP, Schreibmaschine und Stofftaschentüchern – sogar die einzige Möglichkeit. Ich suche in Annas Schrank nach Papier, nehme einen Bogen und einen Stift und schreibe einen netten Dankesbrief an Benjamin Walter.
    Im Grunde hat er mir sehr viel mehr geschenkt, als nur diesen Schmuck, merke ich. Ich kann es noch nicht so richtig benennen, aber ich merke, da ist was.
    Ich bringe den Brief zur Post, und weil ich schon mal auf dem Weg zur Post bin, nehme ich den Brief von Jan an Anna mit. Ich gehe zu Fuß, die ganze South Maquinna hoch, über die Brücke mit dem Fluss, an dem langsam verfallenden Gebäude vorbei, wo früher für die Leute vom Sägewerk gekocht wurde. Zu diesen Zeiten hatte der Ort über zweitausend Einwohner. Da war das hier eine richtige kleine Stadt. In der Kurve der Wasserfall, der rauschend in einen Bach fließt und unter der Straße durch, und wie immer das Gefühl: Hier ist die Wildnis, die Häuser täuschen Zivilisation vor, aber sie sind nichts weiter als ein kleiner Klecks Zivilisation in weiten Wäldern. Da sollte man sich von Heizung und Heißwasser nicht täuschen lassen, da läuft schon mal ein Bergpuma durch den Garten und hinterlässt mit seiner Tatze einen Abdruck im Schnee.
    Ich laufe weiter. An der Kirche mit dem Spitzdach vorbei. Eine schmale Kirche, eingepresst zwischen Straße und Fjord. Ein Stückchen weiter die erste Marina. Im Winterschlaf. In weißes Plastik eingeschweißte Boote warten an Land darauf, dass die Saison losgeht. Das grüne Gebäude mit dem roten Dach der Marina. Souvenirshop, Restaurant und Bar, allerdings nur im Sommer. An den Anlegern dümpeln Boote. Alte, neue, fein herausgeputzte und alte Holzkisten oder wie es so schön heißt: schwimmende Särge.
    Ich erzähle Mary auf der Post von meinem neuen Quilt und wir diskutieren eine Weile sachverständig (fühlt sich jedenfalls für mich so an) die Fortschritte meines Quilts. Da tut sich im Grunde eine ganze Welt auf. Es gibt die traditionellen Muster. Es gibt aber auch art quilts , wie ich jetzt in meinem neuen Buch aus Gold River gesehen habe. Es gibt wunderschöne Landschaften, es gibt abstrakte Kunst. Es gibt Westen und Jacken. Dann gebe ich Mary den Brief nach New York und den Brief nach Lissabon.
    Ist schon wahr – ich habe das nicht zu entscheiden. Ich werde vermutlich nie erfahren, was in dem Brief von Jan an Anna steht. Und das ist auch völlig richtig so, denn es geht mich ja auch wirklich nichts an. Jan hat diesen Brief an Anna geschrieben. Nur der merkwürdige und – machen wir uns nichts vor: allgegenwärtige – Butterfly-Effekt hat veranlasst, dass dieser Brief erst jetzt hier ankommt. Und dieser Butterfly-Effekt hat auch veranlasst, dass der Brief in meine Hände fällt. Und jede meiner Entscheidungen wird Auswirkungen haben und keine davon kann ich auch nur im Ansatz übersehen. Aber da denke ich jetzt nicht drüber nach, denn sonst wird es so richtig kompliziert.
    Mary sagt, wart mal, da ist auch ein Brief für dich und sie sieht die postlagernden Briefe durch und gibt mir einen Brief. Von Tiago.
     
    Im Cookshack binde ich Peppermint auf der Terrasse an und trinke drinnen bei Kathleen einen Kaffee. Ich könnte mich an das Leben hier

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