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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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Vielleicht war alles doch nur ein perfekter Trick, ein hypnotisches Bild, das uns Madame glaubhaft machen wollte.
    Auch das war keine befriedigende Erklärung. Wie man es auch drehte und wendete – es blieb das Blut, das offenbar ohne Wunde aus Madame Ferenczeks Körper ausgetreten war und sich unter grauenhaften Begleiterscheinungen über Ornella ergossen hatte.
    Nein, ich machte mir nichts vor. Ich war hier wieder einmal auf das Unerklärliche gestoßen, das Geisterhafte …
    Das Übernatürliche.
     

     
    Langsam taute Ornella wieder auf.
    Die so unerwartet aufgetauchte Furcht schwand. Sie brauchte eine intensive Ablenkung, so gingen wir in eines der nächstliegenden Kinos, dessen Programm eine unterhaltsame Abwechslung zu bieten versprach. Es war ein alberner Film, und der unfreiwillige Humor war weitaus dichter als der beabsichtigte. Wir lachten noch eine ganze Weile, während wir in der angenehm kühlen Abendluft auf den Donaukanal zumarschierten.
    Sie hatte sich bei mir eingehakt, und ihre Nähe ließ meinen Gedanken wenig Zeit, zu den Geschehnissen des Nachmittags zurückzuwandern. Eines allerdings ging mir immer wieder durch den Sinn.
    Madame hatte gesagt, Ornella sei zurückgekommen, weil sie Angst hatte, mich nicht wieder zu sehen. Als wir bereits ein gutes Stück den Donaukanal abwärts gewandert waren, rang ich mich zu der Ansicht durch, dass das eine Liebeserklärung war.
    Oder wenigstens so gut wie!
    Unvermittelt hielt ich an und küsste sie. »Es war eine gute Idee, wiederzukommen«, erklärte ich.
    Sie lächelte. »Ja, nicht wahr?«
    Den Rest des Weges zum Wiener Vergnügungspark, dem Prater, verbrachten wir damit, uns Kosenamen auszudenken, die von Ornie und Nellie bis zu leicht pompösen Dingern wie Fredericus reichten. Schließlich entschloss sie sich für Alf, und ich meinte, das würde mir Alfdrücken verursachen, aber sie war nicht mehr davon abzubringen. Sie protestierte, dass ich sie immer wieder mit Ornella anredete, was ihr zu förmlich war, aber es gelang mir, ihr klarzumachen, dass mir der Name gut gefiel, und dass ich ihn in jedem Fall liebkosend aussprechen würde, ob Kosename oder nicht.
    Wir verbrachten den Rest des Abends im Prater, aßen im Wieselburger Restaurant und genossen den echten menschlichen Trubel zwischen den Schießbuden, Autodroms, Karussells, Achterbahnen und dem berühmten Riesenrad, das als eines der Wahrzeichen Wiens gilt.
    Zum Schluss waren wir so leidlich durchgeschüttelt und gerüttelt. Nur eines hatten wir beinahe instinktiv vermieden –
    Geisterbahnen. Keiner von uns hatte Lust, sich an die Dinge des Nachmittags zu erinnern. Wir waren zu sehr mit uns selbst beschäftigt.
    Wir waren recht verliebt ineinander. Nicht, dass ich mich übermäßig darüber freute, so wie die Dinge lagen! Ich hätte Wien schon längst verlassen müssen, wenn ich in meinem Urlaub noch etwas vom Osten sehen wollte. Aber mir war klar, dass ich wenigstens in den nächsten zwei oder drei Tagen noch nicht abreisen würde. Schlimmstenfalls musste ich meine Vorbereitungszeit kürzen. Bis zum Schulbeginn war noch fast ein Monat Zeit. Vielleicht konnte ich Ornella dafür gewinnen, dass sie sich meiner Reise anschloss. Aber es würde mir nichts einbringen, die Dinge zu überstürzen. Und es war im Augenblick zu schön, um alles abzubrechen.
    Ich brachte sie gegen Mitternacht nach Hause. Sie wohnte im neunten Bezirk.
    Wir tranken noch etwas zusammen, und, plötzlich, als ich gehen wollte, begann sie Angst zu haben, kein Theater, sondern richtige Angst. Die Erlebnisse des Nachmittags wurden nun in der Nacht und der Dunkelheit lebendiger, als sie es je gewesen waren. Ich weiß, wie es ist. Wenn die Sonne scheint, ist es leicht, den dunklen Mächten zu spotten. Erst, wenn man selbst in der Dunkelheit sitzt, weiß man, wie nahe sie sind.
    Ich blieb bei ihr. Wir schliefen nicht zusammen, aber wir waren einander nahe. Wir mussten leise sein. Ihre Zimmerwirtin hatte etwas gegen nächtliche Gäste.
    Ich konnte noch nicht lange geschlafen haben, als ein Geräusch mich weckte. Ich sah, wie das Mädchen aufstand und zu ihrem Schrank ging. Dort kramte sie einen Augenblick. Das helle Mondlicht ließ mich sie deutlich sehen. Sie war nackt und schlüpfte in ein langes weißes Nachtgewand. Ich sah ihr Gesicht nicht, erst in dem Augenblick, als sie sich umwandte und an mir vorbei zur Tür schritt. Sie hatte die Augen geschlossen, den Mund halb geöffnet. Sie ging mit schlafwandlerischer Sicherheit zur

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