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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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Wohnungstür und schloss auf.
    Wo wollte sie hin? Wandelte sie im Schlaf? Ich richtete mich auf.
    »Ornella!« rief ich halblaut.
    Sie zuckte zusammen, aber sie wachte nicht auf.
    »Ornella!« rief ich erneut, lauter.
    Diesmal schien sie mich zu hören und zu verstehen. Sie sah mich an. Ihre Hand fuhr an die Stirn.
    »Alf«, murmelte sie, »was ist mit mir?«
    »Du hast geträumt«, sagte ich beruhigend.
    Sie schloss die Tür und kam an mein Bett. »Darf ich zu dir?«
    Ich schlug die Decke hoch, und sie kroch darunter. Sie zitterte, aber offenbar nicht vor Kälte. Ich legte den Arm um sie und spürte, wie sie sich langsam beruhigte. Sie seufzte ein paar Mal, und ich dachte schon, sie wäre eingeschlafen. Aber plötzlich drehte sie sich auf den Rücken und sagte: »Eine alte Frau ist da draußen …«
    »Wo?« fragte ich.
    »Irgendwo draußen – in der Stadt.« Und nach einer längeren Pause: »Sie will, dass ich komme – sie ruft mich, ist das nicht verrückt?«
    »Es ist nur ein Traum, mein Liebling«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Der Mond ist fast voll. Es gibt viele Menschen, die er beeinflusst. Manche steigen sogar auf die Dächer.«
    »Und ich wollte fortgehen«, meinte sie und kicherte. »In dem Nachthemd …« Sie schüttelte sich vor Lachen.
    »Was ist mit dem Nachthemd?«
    Unter glucksendem Lachen erklärte sie: »Das muss für Großmutter schon ein recht antikes Stück gewesen sein.«
    »Ein altes Erbstück«, sagte sie lächelnd. »Es befand sich in einem Bündel, das Mutter damals zusammen mit mir über die österreichische Grenze trug. Als sie vor zwei Jahren starb, nahm ich es mit. Ich kann mich nicht erinnern, dass Mutter es in meiner Gegenwart je öffnete. Damals, nach ihrem Tod, sah ich es durch. Es enthielt ein Nachthemd und noch ein paar uralte Dinge – offenbar altes Familienerbgut. Als ich nach Wien übersiedelte, kam mir ein Koffer abhanden, in dem sich das meiste davon befand. Ich trauerte dem Zeug allerdings nicht besonders nach. Die Vergangenheit interessierte mich nie übermäßig.« Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Warum ich ausgerechnet das eben angezogen habe, ist mir unerklärlich.
    Auch dass ich mondsüchtig sein soll oder schlafwandle, ist ein völlig neuer Zug an mir.«
    »Warte mal«, unterbrach ich sie und starrte interessiert auf ihre Beine. Sie hielt mich nicht auf, als ich den Rüschensaum des Hemdes hochzog. Da war etwas eingestickt, eine Art Wappen, grob stilisiert, drei Striche, um die sich ein Wurm oder eine Schlange wand, die sich offenbar selbst in den Schwanz biss.
    »Das ist ein gräfliches Nachthemd«, stellte ich fest.
    »Offenbar habe ich mir eine Prinzessin angelacht.«
    Sie lächelte. »Kleider machen Leute«, sagte sie schelmisch und begann, ihr Nachthemd auszuziehen, um etwaige Standeshindernisse aus dem Weg zu räumen.
    Gegen Morgen schien sie plötzlich ein Alptraum zu quälen.
    Sie stöhnte und wimmerte, bis ich sie weckte. Sie starrte mich grenzenlos erleichtert an.
    »Diese Hexe«, murmelte sie. »Alf, sie ist schrecklich.«
    Ich wusste nun, was sie quälte: Darvulia! Dieses alte Frauengesicht aus dem Nebenhaus spukte in ihren Träumen herum.
     

     

Wir verbrachten den ganzen nächsten Tag zusammen. Und je mehr ich sie kennen lernte, desto verliebter wurde ich in sie. Ich hatte viele Mädchen gekannt, aber nichts hielt dem Vergleich mit ihr stand. Dass sie meine Gefühle weitgehend erwiderte, darüber ließ sie mich nicht im unklaren.
    Wir machten bei Madame Ferenczek einen Blitzbesuch. Sie hatte sich recht gut erholt, wenn sie auch der Blutverlust sehr geschwächt hatte. Ich lernte Wien kennen und genoss jeden Augenblick meines Zusammenseins mit Ornella.
    Ich brachte sie früher nach Hause als am Vorabend. Wir waren beide einigermaßen müde. Ich blieb auch nicht über Nacht bei ihr. Es schien zu riskant. Ihre Wirtsleute hatten größeren Besuch, und es war so gut wie unmöglich, unbemerkt in Ornellas Zimmer zu gelangen. Sie versprach, mich am frühen Nachmittag abzuholen. Wir planten einen Ausflug etwas weiter aus der Stadt hinaus, nach Korneuburg, wo sie ein Lokal kannte, in dem man wundervolle Zigeunerspieße essen konnte.
    Irgendwie schlief ich schlecht in dieser Nacht. Alpträume quälten mich mit wirren Bildern über alte Steinmauern und Darvulias Gelächter und Ornellas angstverzerrtes Gesicht dazwischen. Ich war heilfroh, als endlich der Morgen kam und die Dämmerung diese Ansammlung quälender Schatten aus meinem Geist wischte.
    Ich

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