020 - Die Blutgraefin
verbannt war. Nur durch einen kleinen Spalt konnte Licht dringen. Auch vor der Zimmertür wurde eine hohe Mauer errichtet, mit einer kleinen Öffnung, durch die Nahrung und Wasser gereicht werden konnten. An den Ecken des Schlosses wurden vier Schaffotte errichtet, die deutlich kundtaten, dass hier eine zu langsamem Tod Verurteilte lebte.
Dreieinhalb Jahre später starb sie, und ein Chronist schrieb über ihren Tod:
Erzsebéth Bathory, Gemahlin des hohen Herrn Franz von Nadasdy, Würdenträger des Königs, verwitwet, eine Ehrlose und Mörderin, ist in der Haft in Csejthe gestorben. Plötzlich gestorben, ohne Kreuz und ohne Reue, am 21. August 1614, in der Nacht.
In jener Nacht tobte ein Unwetter. Ein großer, gewaltiger Sturm; es schien, als seien Hexen gestorben.
Ja, dachte ich, eine Hexe, ein Ungeheuer – aber kein Mensch.
Ich blätterte die Zeitschrift erneut durch, las den einen und anderen Absatz noch einmal. Dabei fiel mir etwas auf, das mir vorhin entgangen war. Ich stieß auf die Beschreibung des Wappens der Bathorys: »… zeigt drei silberne Eckzähne eines Wolfes auf rotem Grund, umgeben von einem Drachen, der sich in den Schwanz beißt.«
Es erinnerte mich an etwas, ich spürte diese unbestimmte Ahnung wieder. Ich zuckte nach einer Weile des Nachdenkens die Achseln. Es war wohl dieses Symbol des Drachens, der sich in den Schwanz biss, das mir so bekannt erschien. Es war ein häufig verwendetes Motiv, deshalb vermutlich.
Zufällig schaute ich auf die Uhr, und ich sprang erschrocken auf. Halb zwölf. Und Ornella war noch immer nicht hier! Was konnte nur geschehen sein?
Ich verließ die Bibliothek. Die geringe Hoffnung, dass Ornella vielleicht beim Eingang wartete, erfüllte sich nicht. Fünf Minuten später saß ich im Taxi und stand weitere zehn Minuten später vor Ornellas Tür.
Sie war zu Hause!
Sie öffnete auf mein Läuten und sah mich einen Augenblick abwesend an. »Ja?« fragte sie. Sie war bleich und übernächtigt, und etwas stimmte nicht mit ihr.
Plötzlich, noch bevor ich antworten konnte, verzerrte sich ihr Gesicht vor Erschrecken.
»Alf …?« stieß sie hervor.
»Ornella«, begann ich unsicher.
Ihre Augen waren weit. Sie griff nach mir und klammerte sich an meinen Armen fest. »Alf, was ist mit mir? Es ist, als …«
Jemand kam die Treppe hoch. »Nicht hier«, sagte ich, und schob sie ins Innere. »Ist deine Wirtin zu Hause?«
»Ja«, erklärte sie. »Aber das macht nichts. Ich werde dich ihr nachher vorstellen.« Ihre Stimme klang leblos.
Sie hing noch immer an mir, kraftlos, ich trug sie halb, als wir in ihr Zimmer stolperten. Sie trug einen Morgenmantel, war unfrisiert und machte einen völlig verwirrten Eindruck.
»Was ist?« fragte ich, als ich mich setzte und sie auf den Schoß nahm. »Hast du auch mich vergessen?«
Sie sah mich bleich an. »Mir ist …« sagte sie zögernd, »als wäre ich eben erst aufgewacht, und ich fühle mich, als wäre ich immer noch nicht ganz da.« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sich mit der Bewegung von etwas befreien.
Ich sah mich um. Das Zimmer sah ungewohnt und unaufgeräumt aus. »Bist du erst aufgestanden?« fragte ich verwundert.
Sie zuckte die Achseln. »Ich – ich weiß es nicht …«
Ich drückte ihr Gesicht an meines und küsste sie. Sie seufzte und schlang ihre Arme um mich. Sie klammerte sich an mich wie eine Schiffbrüchige an die letzte Planke. »Es ist schön, dass du da bist«, murmelte sie.
Überrascht roch ich an ihrem Haar. Es duftete frisch nach Shampoo. »Wie oft wäschst du eigentlich deinen Kopf?« fragte ich sie.
»Einmal in der Woche. Warum?«
Ich zupfte an ihrer schwarzen Mähne. »Die riechen fast noch feucht.«
Sie sah mich verwundert an, dann griff sie in ihr Haar und roch ebenfalls daran.
Sie erhob sich nachdenklich und ging aus dem Zimmer. Nach einigen Minuten kam sie wieder und schüttelte den Kopf. »Du hast recht. Das neue Shampoo, das ich gestern kaufte, ist bereits benützt. Aber, ich weiß absolut nichts davon. Und da ist noch etwas, von dem ich auch nichts weiß. Erinnerst du dich an das alte Nachthemd?«
Ich nickte.
»Es ist auch gewaschen. Glaubst du, dass mit mir nicht mehr alles stimmt?«
»Nein«, sagte ich beruhigend. »Du bist wohl ein bisschen zerstreut.«
»Zerstreut?« erwiderte sie heftig.
Ich lächelte. »Vielleicht bin ich daran schuld.«
»Du …?« fragte sie verständnislos. Dann errötete sie. »Ja«, murmelte sie, halb erleichtert. »Hoffentlich.« Sie
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