020 - Zug der Verlorenen
Aber wir haben niemals einen Menschen getötet.«
»Ich habe etwas anderes gehört«, hielt Matt dagegen.
»Ein junger Mann erzählte mir, seine ganze Familie sei von den Fishmanta'kan grausam abgeschlachtet worden.«
»Wie war sein Name?«
»Crane«, gab Matt zurück.
»Hm«, machte Quart'ol nur und nickte wissend. »Sie müssen mir glauben, Maddrax, wir haben den Menschen nie etwas zu Leide getan. Die Warnungen an den Grenzen unseres Reiches dienen nur unserem eigenen Schutz. Die Schädel haben wir aus Gräbern geholt.«
»Aber da draußen wart ihr hinter uns her!«, warf Matt dem alten Hydriten vor. »Ihr habt uns gejagt wie wilde Tiere, habt einige von uns auf bestialische Weise umgebracht!«
»Quart'ol weiß, was geschehen ist.«, ver- sicherte der Hydrit, »aber ich kann Ihnen versichern, dass mein Volk damit nichts zu tun hat. Es stimmt, dass ein Spähtrupp von uns da draußen war, aber wir waren es nicht, die Ihre Leute überfallen und auf so grausame Weise getötet haben.«
»Ach nein?«
»Nein, Maddrax. Etwas Anderes ist da draußen im Wald und tötet. Etwas Fremdes, Böses…« Der Alte unterbrach sich, und ein leises Zittern durchlief seine dünnen Glieder, als er schauderte.
Matt schluckte hart. Er wusste nicht, was er denken sollte. Die ganze Zeit über hatten sowohl die Sklaven als auch Emrocs Wächter sich vor den grausamen Fishmanta'kan gefürchtet, hatten schreckliche Gerüchte die Runde gemacht. Und nun sollte nichts davon wahr sein? Das war schwer zu glauben.
»Sie glauben mir nicht«, deutete Quart'ol Matts Schweigen richtig. Es lag weder Bedauern noch Ärger in der Stimme des Hydriten, es war nur eine Feststellung. »So bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihnen zu beweisen, dass ich die Wahrheit sage«, fuhr er fort. »Maddrax möge mir folgen…«
Damit setzte sich der Fischmensch mit humpelnden, schleppenden Schritten in Bewegung, verließ den Kugelraum durch ein Schott, das sich unvermittelt öffnete.
Matt folgte ihm. Wie zuvor musste er sich bücken, um den Durchgang zu passieren, und auch der Gang, der dahinter lag, war mehr auf die bescheidende Körpergröße der Hydriten ausgerichtet als auf seine.
Den Kopf zwischen die Schultern gezogen, um nicht gegen die Leuchtsteine zu stoßen, die in regelmäßigen Abständen an der Decke hingen, folgte Matt Quart'ol durch sein unterseeisches Reich. Langsam gewöhnte er sich auch an die hohe Luftfeuchtigkeit, die hier unten herrschte.
Sie kamen an kreisrunden Luken vorbei, die verglast waren und ein atemberaubende Blicke nach draußen gewährten. Sie befanden sich tatsächlich auf dem Grund des Ozeans - Matt sah Schwärme von Fischen vorüber ziehen. Gelegentlich erheischte er auch Blicke auf Teile der Unterwasserstation und war beeindruckt von ihrer Größe. Ein Labyrinth von Gängen verband die zahllosen Kugelsphären, aus deren Fenstern blasses Licht fiel und den Grund des Ozeans sanft beleuchtete. Matt sah einige andere Hydriten darin; sie schienen zu fliegen! Dann wurde er sich bewusst, dass diese Sphären mit Wasser gefüllt waren, dem ureigenen Element der Fischmenschen. Sie mussten über eine kombinierte Kiemen-Lungenatmung verfügen.
Es war unmöglich abzuschätzen, wie weit sie von der Küste entfernt waren. Gerne hätte Matt Quart'ol danach gefragt, aber er wusste, dass ihm der Fischmensch darauf nicht geantwortet hätte. Er glaubte aber zu ahnen, dass dies hier keineswegs eine Stadt der Hydriten war, eher eine Art Außenstation, vielleicht zur Beobachtung der Menschen. Bislang hatte er jedenfalls noch nichts gesehen, was für eine Stadt typisch war: Wohnhäuser, Transportmittel, Unterhaltungseinrichtungen, Plätze und Parkanlagen - wie auch immer die hier am Meeresgrund aussehen mochten - und vor allem kaum Bewohner.
Die Bewunderung, die Matt für diese unbekannte Technik empfand, blieb dem alten Hydriten aber dennoch nicht verborgen.
»Sind Sie beeindruckt?«, erkundigte er sich bei Matt, während sie die langen Korridore durchschritten.
»Kann man so sagen…«
Widersprüchliche Gefühle tobten in Matt. Er wusste nicht, woran er mit den Hydriten war.
Einerseits war da die Angst, die er und die anderen Sklaven durchlebt, die grausamen Dinge, die sie gesehen hatten. Andererseits musste er sich eingestehen, dass Quart'ol nicht den Eindruck eines blutigen Schlächters machte.
Es war ein Rätsel…
Sie gelangten in einen weiteren Kuppelraum, und zum ersten Mal bekam Matt weitere Vertreter von Quart'ols Art zu
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