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0203 - Um Mitternacht am Galgenberg

0203 - Um Mitternacht am Galgenberg

Titel: 0203 - Um Mitternacht am Galgenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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klagen, wenn er durch Felsspalten und Ritzen pfiff. Hin und wieder bewegte er kleinere Steine, die dann die Abhänge hinunterrollten und manchmal sogar den schmalen Weg übersprangen.
    Es gab keine Bäume in diesem Teil des Gebirges. Alles wirkte wie abgefressen, als hätte ein gewaltiger Kahlschlag die Natur vernichtet.
    »Kannst du noch?« fragte Marcel. Colette nickte. »Wenn nicht, sag es mir, ich werde dich dann tragen.«
    Erstaunt schaute sie zu ihm hoch. »Ich bin schließlich vor drei Monaten elf geworden.«
    Marcel lachte. »Entschuldige, das vergaß ich. So ein kleines Mädchen bist du ja nicht mehr.«
    »Genau. Und ich habe schon einen Freund.«
    »Wie heißt er denn?« Marcel tat sehr überrascht.
    »Pierre. Er wohnt zwei Straßen weiter und spielt Fußball. Er ist sogar Libero.«
    »Noch toller.«
    Mit solchen und ähnlichen Gesprächen versuchte auch Marcel, seine eigene Furcht zu unterdrücken.
    Denn die hatte er. Der Bandit dachte an seinen erhängten Kumpan, der so plötzlich verschwunden war. Und er wollte nicht glauben, einen Toten in der Schlinge gesehen zu haben. Wie er sich allerdings von diesem Galgen hatte lösen können, war für Marcel ein Rätsel.
    Da keine Wolken aufkamen und die Luft klar blieb, war der Galgen immer in Sicht. Zwar kleiner wegen der größeren Entfernung, doch zu sehen. Schließlich atmete Marcel auf. »So«, sagte er noch und nickte irgendwie zufrieden.
    Colette hatte seinen Kommentar vernommen. »Was ist denn los?« fragte sie.
    Der Bandit blieb stehen und deutete nach vorn. »Siehst du da die Kurve, die der Weg macht?«
    »Ja.«
    »Hinter der Kurve beginnt der Abstieg.«
    »Was heißt das?«
    Marcel ging in die Knie. »Was das heißt? Dass wir uns nach der Kurve nicht mehr auf der Höhe befinden wie jetzt, sondern dem Tal zugehen, meine Kleine.«
    »Und dann ins Dorf?«
    »Genau.«
    Colette jubelte. Sie riss sogar ihre Arme hoch, und die Decke verrutschte. »Dann haben wir ja alles hinter uns!«
    »Noch nicht, noch nicht…«
    »Aber du sagtest doch, dass wir bald im Dorf sind.«
    »Nein, meine Kleine, gesagt habe ich das so nicht. Wir werden sogar noch weiter laufen müssen als die Strecke, die hinter uns liegt, aber wir sehen jetzt unser Ziel.«
    Colette nickte.
    Marcel konnte nicht anders. Er nahm die Kleine in den Arm. Irgendwie hatte er sich an das Mädchen gewöhnt. Es hätte wirklich seine Tochter sein können, und Colette würde ihm fehlen. Vielleicht ließ man ihn auch nicht am Leben. Wenn die anderen erfuhren, was er sich da herausgenommen hatte, würde die Bestrafung erfolgen. Auch würde ihm keiner den eigentlichen Grund der Flucht glauben. Die Leiche hing nicht mehr am Galgen. Sie war verschwunden. Irgendjemand hatte sie aus der Schlinge befreit.
    Hatte er das wirklich? Und wenn, dann hätten dies eigentlich nur Marcels Kumpane sein können, denn wer trieb sich sonst in den Bergen herum. Niemand, nicht einmal die Polizei. Ihr war die Gegend zu unwirtlich. Zudem hatten die Beamten auch Angst, in einen Hinterhalt gelockt zu werden.
    Seine Kumpane!
    Der Gedanke wollte Marcel nicht loslassen. Aber warum hatten sie das getan? Es musste einen Grund geben. Wollten sie ihn vielleicht auf die Probe stellen? Hatten sie bemerkt, welch ein Verhältnis er zu der kleinen Gefangenen besaß?
    Eine andere Möglichkeit konnte sich Marcel kaum vorstellen. Er rechnete damit, dass ihm allein eine Falle gestellt werden sollte. Demnach konnte er davon ausgehen, dass sie ihn beobachteten und seinen gesamten Weg bisher verfolgt hatten.
    »So könnte ich immer stehen bleiben, Marcel«, sagte die kleine Colette.
    »Weißt du was?« Als der Mann keine Antwort gab, sprach Colette weiter: »Ich werde Pierre nicht mehr als Freund nehmen, sondern dich. Bist du damit einverstanden? Freust du dich?«
    Marcel schwieg. Er befand sich mit seinen Gedanken ganz woanders.
    »He, Marcel.«
    »Ja?«
    »Hast du nicht gehört, was ich dir gesagt habe?«
    »Nein, entschuldige.«
    Das Mädchen wiederholte es. Da freute sich Marcel und presste Colette noch einmal an sich. »Soll ich dich tragen?« fragte er. »Möchtest du auf meine Schulter?«
    »Nein, noch kann ich ja laufen. Komisch, sonst konnte ich nie so lange gehen.«
    »Dann gehen wir mal weiter.«
    Es war eine relativ dunkle Nacht. Zwar segelten keine dicken Wolken über den Himmel, doch auch der Mond war nicht zu sehen und nur wenige Sterne blinkten.
    Zwischen den Felsspalten lauerte eine tiefe, pechschwarze Dunkelheit. An einigen

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