0204 - Vorm Frühstück eine Kugel
gekriegt haben.«
»Das leuchtet mir ein«, sagte ich. »Ist mir auch schon so gegangen, daß ich am nächsten Tag keine Ahnung hatte, wo ich überhaupt am Abend vorher war.«
»Na, siehst du!« raunte Lieser. »Hier kannst du also unbesorgt deine Scheine absetzen. Nicht alle auf einmal, aber so nach und nach.«
Ich zuckte die Achseln:
»Das kann ich nicht versprechen. Ich weiß ja gar nicht, ob ich noch mehr von dieser Sorte habe. Weiß der Teufel, wie ich an diesen Lappen gekommen bin.«
»Du willst es nicht zugeben, was?« lachte Lieser. »Okay, brauchst du auch nicht. Trinken wir einen?«
»Ja«, sagte ich und tippte gegen mein leeres Glas. »Auf meine Rechnung. Aber einen vernünftigen!«
Ich betonte das letzte Wort auffällig. Lieser stutzte.
»Wieso?« fragte er. »Was soll das heißen?«
»Keinen Mondscheinwhisky«, sagte ich so leise, daß es niemand weiter hören konnte. »Ich möchte einen richtigen Bourbon.«
Mondscheinwhisky nennt man bei uns den schwarz gebrannten Schnaps, weil die Hersteller nur nachts brennen können, um nicht aufzufallen.
Lieser starrte mich an wie das siebente Weltwunder.
»Freundchen«, lachte ich gutmütig, »such dir die Leute aus, die du anschmieren willst! Ich schmecke jeden Mondscheinwhisky unter zwanzig richtigen heraus! Meine Zunge versteht was davon.«
Lieser wollte etwas sagen, besann sich aber und verschwand hinter der Theke. Er kam mit einer Flasche zurück und schenkte mir wortlos ein, während er sich wieder setzte und auch für sich ein Glas füllte. Ich schnupperte und nippte. Es war richtiger Bourbon.
»Der stimmt«, sagte ich.
Lieser schmunzelte zufrieden. »Tatsächlich eine gute Zunge«, murmelte er. »Wie steht es sonst mit dir? Willst du erst dein ganzes Geld auf den Kopf hauen — oder hast du Interesse daran, noch ein paar Dollars nebenbei zu machen?«
»Ich bin immer dafür, Dollars zu machen, wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet«, kaute ich in der lässigen Aussprache eines in den Slums groß gewordenen Mannes.
»Okay«, sagte Lieser. »Wir brauchen einen zuverlässigen Mann, der jede Woche in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ein paar Dinge für uns erledigt. Das Ganze dauert ungefähr vier Stunden, und wir zahlen fünfzig Dollar für diese kurze Zeit.«
»Für ein paar Stunden ist das ganz nett, wenn das Risiko nicht zu hoch ist«, sagte ich. »Was habe ich genau zu tun?«
»Das sage ich dir morgen abend. Komme gegen elf Uhr hier ’rein. Übrigens, ich heiße Sam. Wenn du mal was brauchst, kannst du dich immer an mich wenden. Aber sei vorsichtig mit dem Ausgeben der Fünfziger. Die Nummern standen in allen Zeitungen.«
Ich sagte nichts, nickte aber. Lieser stand auf und murmelte, er müsse sich wieder um den »Betrieb« kümmern.
»Vergiß nicht!« schärfte er mir noch einmal ein. »Morgen abend um elf!«
»Ich werde es bestimmt nicht vergessen«, versprach ich. Und das war das einzige, was Lieser ruhig wörtlich nehmen durfte.
***
Gute zwei Stunden vorher hatte Phil das Lokal zum zweiten Male an diesem Tage betreten. Es war Punkt neun. Draußen war es dunkel geworden, aber in den Straßen merkte man wenig davon. Tausende von Fensterscheiben, Reklameschriften und bunten Neonröhren verbreiteten ein zuckendes, sprühendes, gleißendes Licht.
In der Kneipe herrschte Hochbetrieb. Phil schob sich mühsam zwischen den lauten Gästen hindurch an die Theke. Er suchte sich einen Platz, auf dem Sam Lieser ihn sofort erblicken mußte.
Das geschah wenige Sekunden später.
Lieser hatte ein paar Geldscheine gewechselt und zahlenden Gästen, die ihr Bier oder ihren Brandy im Stehen an der Theke getrunken hatten, das Wechselgeld hingeschoben. Da bemerkte er Phil.
Er stutzte. Für den Bruchteil einer Sekunde blickte er Phil in die Augen. Dann zählte er gleichmütig die Münzen weiter. Erst als er damit fertig war, gab er Phil ein Zeichen mit dem Kopf.
Phil verstand. Er ging zu der Tür, die in die Küche führte. Lieser kam ihm nach und riß zuvorkommend die Tür auf.
»Nach Ihnen!« sagte Phil gedehnt.
Lieser zuckte die Achseln und ging als erster in die Küche. Phil folgte ihm. Sein Blick schweifte rundum.
Irgend etwas war verändert, das spürte er sofort. Aber was war es?
»Mr. Lindner wird sofort kommen«, sagte Lieser. »Er läßt Sie bitten, hier einen Augenblick zu warten. Er rief vor einer guten Viertelstunde an. Ich glaube, er weiß wirklich etwas von Ihrem Bruder.«
Phil nickte nur. Er war in Gedanken noch immer
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