0205 - Die goldene Kralle
Hintergrund summte der Staubsauger. Dieses Geräusch wurde Erna Bindallas Grabgesang…
***
Judith van der Berg, blondhaarig, quirlig, weltoffen, war immer die erste, die die Firma betrat. Sie brauchte die morgendliche Ruhe, um den Kaffee zu kochen, sich die Arbeit zurechtzulegen und auch für den Chef schon einiges vorzubereiten.
25 war sie jetzt, und sie hatte durch ihr freundliches Auftreten und einen großen Fleiß das erreicht, von dem zahlreiche ihrer Sekretärinnen-Kolleginnen noch träumten. Sie war die Leiter hochgerutscht bis in das Vorzimmer eines Firmenbosses.
Verheiratet war sie nicht. Es gab da zwar einige lose Verbindungen, aber Judith van der Berg wollte sich nicht festlegen. Sie fühlte sich noch zu jung.
Als sie aus dem Honda stieg, wunderte sie sich, daß auf dem Parkplatz ein roter R 4 stand. Judith blieb einen Moment neben ihrem Fahrzeug stehen und dachte nach. Da fiel ihr ein, daß dieser Wagen Erna Bindalla, der Putzfrau, gehörte. War sie vielleicht mit ihrer Arbeit nicht fertig geworden? So etwas war in den langen Jahren noch nie passiert. Die Lösung würde sich gleich herausstellen.
Judith hängte ihren Damentrench über das grüne Wollkostüm, ging zur Hintertür und schloß auf. Im Lift schaute sie ihr Gesicht im Spiel an.
Das blonde Haar war kurz geschnitten. Die Frisur erinnerte ein wenig an die der Lady Di. Darunter befand sich ein schmales Gesicht mit etwas hochstehenden Wangenknochen, hellen Augen, einer kleinen Nase und dem energisch wirkenden Kinn.
Geschminkt war Judith kaum. Sie hatte nur ein wenig Rouge auf ihre Wangen gelegt, eine feine Puderschicht, die der Natürlichkeit ihres Aussehens nichts abtat.
Auch das unterschied sie von anderen Chefsekretärinnen, die wie Malkästen herumliefen und am Morgen extra eine halbe Stunde früher aufstanden, um sich zu schminken.
Judith verließ den Lift in der vierten Etage.
Kaum hatte sie die Tür geöffnet, als ihr ein brummendes Geräusch auffiel. Sie kannte es, denn ihr eigener Staubsauger hörte sich ähnlich an.
Verwundert schüttelte die Chefsekretärin den Kopf. Jetzt war es sieben Uhr dreißig, und da putzte die gute Frau Bindalla tatsächlich noch. Vielleicht hatte sie sich verschlafen und war deshalb so spät dran. So etwas konnte mal vorkommen, obwohl man es von ihr nun wirklich nicht gewöhnt war.
Judith van der Berg ging schneller. Was die Bindalla bis jetzt nicht geschafft hatte, sollte sie ruhig so lassen. Sie konnte am nächsten Morgen weitermachen.
Die Tür zu Judiths Büro stand offen. Sie trat über die Schwelle, schaute sich um, fand ihren Raum leer, sah aber, daß die Verbindungstür zum Chefzimmer aufstand.
Aus diesem Raum hörte sie auch die Geräusche.
Rasch ging sie hin. »Frau Bindalla?« rief sie. »Hören Sie, Frau Bindalla. Ich…«
Noch im Türrechteck blieb sie stehen. Riesengroß wurden ihre Augen. Die Beine zitterten, in den Knien bekam sie ein weiches Gefühl. Die Handtasche rutschte ihr aus den Fingern, und Judith selbst mußte sich im Türrahmen abstützten.
Sie sah Erna Bindalla.
Die Putzfrau war tot, und sie lag inmitten einer großen Lache aus Blut…
***
Das kleine Hotel lag am Ufer der Außenalster, nicht weit vom Feenteich entfernt. In der Nähe führte die Straße mit dem Namen Schöne Aussicht vorbei. Im Frühling oder Sommer mochte das stimmen, doch im Februar waren die Bäume kahl, das Gras braun, und das Wasser der Außenalster schimmerte wie Blei.
Schwarze Vögel zogen ihre Kreise über dem Wasser oder hockten auf ihren Stammplätzen in den Bäumen.
Die Größe der Zimmer überraschte uns. Wenn ich aus dem großen Fenster schaute, fiel mein Blick in einen Garten. Will Mallmann hatte uns erklärt, daß dieses Hotel öfter von auswärtigen Polizisten bewohnt wurde. Es lag ruhig und dennoch zentral. Ein paar Minuten Autofahrt brachte die Gäste in den Hamburger Trubel.
Wir hatten folgenden Plan gefaßt. Nach dem Umziehen wollten wir uns mit Hans König und dessen Bruder Gerd in Verbindung setzen. Mich interessierte vor allen Dingen Gerd König, der erst kürzlich von seinem Asientrip zurückgekehrt war.
»Habt ihr eigentlich schon was gegessen?« fragte der gute Will und blieb mit verschränkten Armen in der Tür stehen.
»Im Flugzeug«, erwiderte ich, als ich den Koffer öffnete und einige Sachen hervornahm.
»Die Wirtin hier kocht gut. Vor allen Dingen den Labskaus. Er schmeckt wirklich.«
»Aber nicht jetzt.«
Mallmann grinste. »War auch nur ein Vorschlag.« Er
Weitere Kostenlose Bücher