0205 - Die goldene Kralle
haben!
Geräuschlos bewegte er sich voran. Eine alptraumhafte Gestalt, halb Mensch, halb Tiger. Der Fluch und das Erbe des erlegten Dschungeltigers waren voll auf ihn übergegangen.
Er trug eine dunkelgraue Cordhose und ein helles Hemd. Auf der menschlichen, linken Seite sah alles normal aus, doch wo das Tier zum Durchbruch gekommen war, bestand der Hemdsärmel nur noch aus Fetzen, die auf der Haut klebten oder an dünnen Stoffäden herabhingen.
Er ging weiter.
Auch seine menschliche Hand formte sich zur Kralle. Mit der anderen allerdings wollte er töten.
Gnadenlos…
Die Frau saugte weiter. Sie hatte jetzt das Zimmer des Firmenchefs betreten und freute sich darüber, wie sauber noch alles war.
Selbst die Möbel glänzten so, daß man sich darin spiegeln konnte, wie ein großer Meister es immer im Werbefernsehen versprach.
Für einen Moment blickte Erna Bindalla auf. Sie sah sich in der Einbauwand und sie sah gleichzeitig hinter sich eine schattenhafte Bewegung.
Da war jemand!
Ein Fremder…
Erna Bindalla war keine schreckhafte Frau, beileibe nicht. Man konnte sie als resolut bezeichnen, und ihr Mann nannte sie sogar immer einen Hausdrachen, jetzt aber bekam sie weiche Knie, denn die Gestalt hinter ihr war fast einen Kopf größer als sie, das konnte sie in der Schrankwand genau erkennen.
Wie sie genau aussah, bekam sie erst mit, als sie sich auf der Stelle drehte.
Ein Schritt trennte die beiden.
Erna Bindalla wurde steif vor Entsetzen. Vor ihr stand ein unheimliches Monstrum, eine Ausgeburt der Hölle, ein Alptraumgeschöpf, eine Mischung zwischen einem gelbschwarz gestreiften Tiger und einem blondhaarigen Menschen.
Die Teilung lief längst durch den Körper, und die Mensch-Bestie hatte beide Arme erhoben, wobei Hand und Pranke zur Klaue gekrümmt waren.
Die rechte Klaue sah anders aus als die Hand. Nicht nur, daß sie eine Tatze war, nein, sie besaß auch eine goldene Kralle, deren Enden spitz wie kleine Messer wirkten.
Trotz des Schreckens, der sie zur Unbeweglichkeit erstarren ließ, erinnerte sich Erna Bindalla.
Sie dachte an die beiden Morde!
Es hatte sich natürlich herumgesprochen, daß dieses Gärtnerehepaar ums Leben gekommen war, zudem hatten die Zeitungen davon berichtet. Ein Blatt hatte sogar ein Foto von der entsetzlich zugerichteten Leiche gebracht, und dieses Bild stand plötzlich wieder vor ihren Augen.
Die Polizei stand vor einem Rätsel. Erna Bindalla wurde klar, daß sie die Lösung des Rätsels gefunden hatte.
Vor ihr stand der Mörder!
Und er wollte auch sie töten.
Noch immer hielt sie den Staubsauger in der Hand. Sein Summen übertönte ihre heftigen Atemzüge, unter denen der gewaltige Busen wogte. Groß wurden ihre Augen, sie hörte das Fauchen, sah etwas aus dem Maul der Bestie sprühen und wertete dies als ein Zeichen für den Angriff.
Erna Bindalla hatte sich nicht getäuscht.
Die Bestie sprang vor. In einer Reflexbewegung riß die Putzfrau den Arm des Saugers samt Düse hoch und schmetterte ihn gegen den Kopf des Wertigers.
Mit einer lässig anmutenden Bewegung schleuderte er das Gerät zur Seite, dann schlug er mit der goldenen Klaue zu und traf die Frau an der Hüfte.
Der Schmerz war fürchterlich. Erna Bindalla begann zu schreien.
Sie hatte das Gefühl, ihre linke Körperhälfte würde in Flammen stehen. Sie wagte nicht hinzuschauen, um das Schreckliche nicht sehen zu müssen. Der Weg zur Tür war ihr versperrt, die zweite Tür, die nach draußen in den Gang führte, war verschlossen, und Erna Bindalla gelang es auch nicht, dem zweiten Hieb auszuweichen.
Sie sah noch die goldene Kralle dicht vor ihren Augen blitzen, dann erkannte sie nichts mehr, weil das aus den Wunden strömende Blut in ihre Augen rann.
Irgendwie hielt sie sich auf den Beinen, torkelte rückwärts, stieß gegen den Schreibtisch und schleuderte mit den Ellenbogen eine kleine Blumenvase von der blanken Platte. Die Vase fiel auf den Teppich und lief aus. Das Wasser bildete ebensolche dunkle Flecken wie das Blut, das aus Erna Bindallas Wunden rann.
Dann sackte sie in die Knie.
Der Wertiger war vor ihr stehengeblieben. In seinen gnadenlosen Augen irrlichterte es. Aus seiner Kehle drang eine Mischung zwischen Grunzen und Knurren.
Hoch hatte er den rechten Arm erhoben, wo die goldene Klaue im Licht der Lampe schimmerte.
Dann wuchtete er den gelbschwarz gestreiften Arm nach unten.
Es war der dritte, alles entscheidende Hieb, der die Frau endgültig zu Boden streckte und tötete.
Im
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