0205 - Die goldene Kralle
hatte Angst um seinen Kollegen. Sehr verständlich. Ich öffnete die Faust. Die Beretta rutschte heraus und blieb auf den Steinen liegen.
Der Polizist warf seine Dienstpistole sogar so weit weg, daß sie fast in das Schwimmbecken gerutscht wäre.
Suko, Will und Kommissar Kölzer folgten unserem Beispiel.
Waffenlos standen wir vor dem Wertiger, obwohl das Wort waffenlos nicht ganz zutraf. Zumindest Suko und ich besaßen noch einiges in der Hinterhand. Das brauchte unser Gegner nicht zu wissen.
»Laß ihn jetzt frei!« schrie der junge Beamte neben mir. »Wir haben getan, was du wolltest!«
Der Wertiger kümmerte sich um so etwas nicht. Er tat genau das, was er wollte. Der Mann hing wie eine Puppe in seinen Pranken.
Sein Gesicht war verzerrt, eine Folge der Schmerzen, denn die Wunde auf seiner Brust mußte wehtun.
Wie würde die Bestie reagieren?
Sie zeigte jetzt mehr von ihrem Körper. Ihre Kleidung war auf der rechten Seite durch die Verwandlung völlig zerfetzt. Der Tigerarm schaute aus dem Jackenärmel. Erst jetzt fiel mir wieder ein, daß wir auf dem letzten Stück hierher einen weggeschleuderten Mantel gesehen haben. Er hatte sicherlich Gerd König gehört.
»Geht zurück!« Die Bestie hatte Mühe zu sprechen. Kein Wunder, wenn zwei Seelen in ihr kämpften.
Wir gehorchten. Ich schielte aus den Augenwinkeln zu Suko. Ich konnte mir vorstellen, woran mein Partner dachte. Er hatte seinen Stab, mit dem er die Zeit für fünf Sekunden anhalten konnte. Wenn ihm das gelang, wurden unsere Chancen wesentlich besser.
Aber er mußte vorsichtig sein.
Suko war es auch. Er drehte dem Wertiger und seiner Geisel die Seite zu, und seine Hand kroch langsam in die Höhe. Wenn er den Stab berühren konnte, war alles klar.
Ich fieberte mit, drückte Suko beide Daumen. Auch Will hatte gesehen, was der Inspektor bezweckte, und er drehte sich so, daß er zwischen dem Wertiger und Suko geriet.
»Die Hände vom Körper, Chinese!«
Der Befehl erreichte uns als Fauchen. Er war trotzdem zu verstehen, und unsere Hoffnung zerplatzte. Suko breitete die Arme aus, ein Zeichen der Aufgabe.
Ich fing einen fragenden Blick von Kölzer auf, erwiderte jedoch nichts. Wir näherten uns immer mehr dem Pool, und plötzlich wurde mir klar, was der andere mit uns vorhatte.
Wir sollen in das Becken springen.
Zum Glück befand sich kein Wasser darin. Auf dem schrägen Grund lag eine grüne Moosschicht, das Schwimmbad mußte noch gereinigt werden.
»Springt!« schrie der Wertiger. »Springt hinein. Aber alle. Und glaubt nicht, daß ich den hier dann loslasse. Macht schon!«
Wir schauten uns an.
Kölzer war rot angelaufen. In seinem Innern mußte eine kleine Hölle toben. Die Wut überschwemmte ihn fast, trotzdem war er es, der zuerst in das Becken sprang.
Vom Grund her hörten wir ihn fluchen. Er war schlecht aufgekommen und hingefallen.
Der Polizist verschwand als nächster, dann Will Mallmann, zuletzt Suko und ich. Bevor wir sprangen, schauten wir noch einmal auf unseren Gegner. Er stand mit seiner Geisel am Rande des Dachs und hielt den Polizisten so umklammert, daß es uns wohl kaum gelingen würde, ihn lebend zu befreien.
Wir mußten uns den Bedingungen des anderen unterwerfen, daran ging kein Weg vorbei.
Dann sprangen auch wir. Fast hätte ich mich ebenfalls langgelegt, es war gar nicht einfach, auf der Schräge Halt zu finden. Will stoppte mich, indem er die Arme ausstreckte.
Der kleine Kommissar Kölzer biß sich fast vor Wut in die eigene Wade. »Wir sind hilflos. Vier Polizisten, nein fünf, sind dieser Bestie ausgeliefert, das kann doch nicht sein, das ist…«
»Wollen Sie die Verantwortung übernehmen?« fragte Will Mallmann.
»Ja, nein…«
»Wir werden ihn schon packen«, erwiderte ich und lief, wie auch Suko, dicht an der Innenwand des leeren Schwimmbeckens entlang, um einen der Ausstiege zu erreichen.
Das Geländer hatte in den Wintermonaten gelitten. Die Farbe war zum Teil abgeblättert. Nur noch an wenigen Stellen schimmerte der blaue Lack auf dem Rost.
Während Suko quer durch das Becken lief und sich einem anderen Ausstieg zuwandte, erklomm ich die wenigen Sprossen.
Dabei duckte ich mich, denn der Wertiger sollte mich nicht früher sehen als unbedingt nötig.
Ich peilte über die oberste Kante der Stufe und sah ihn nicht mehr. Für eine Sekunde glaubte ich, mich getäuscht zu haben. Es stimmte tatsächlich. Unser Gegner befand sich nicht mehr auf dem Dach, und auch vor den Kabinen konnte ich ihn nicht
Weitere Kostenlose Bücher