0206 - Das Vampirnest
die Kellerbreite zu berechnen. Das Stemmeisen traf nicht mich, sondern die Wand.
Es riß dort einen langen Streifen, kleine Staubwolken quollen in die Höhe, und bevor der Vampir zum zweitenmal ausholen konnte, hatte ich mit dem geweihten Dolch zugestoßen.
Die Klinge traf ihn hart. Sie fuhr schräg von unten her dorthin, wo das Herz sitzt.
Für einen Moment erstarrte der Blutsauger mitten in der Bewegung.
Dann schüttelte er den Kopf, als hätte jemand Eiswasser über ihn gegossen, und fiel zurück. Die Wand hielt ihn auf.
Suko hetzte an mir vorbei. Er kümmerte sich um Mrs. Hillary, die alles mitangesehen hatte.
Jack Hillary brach zusammen. Ich hatte den Dolch aus seinem Körper gezogen, und meine Augen wurden groß, als ich das Blut erkannte, das aus seiner Wunde strömte.
Ein Vampir verlor Blut.
Und es sah ebenso aus wie das eines Menschen, hatte sich nicht verändert, war weder dunkler noch heller geworden.
Hillary fiel auf den Rücken. Im schrägen Winkel lag er zur Treppe, seine gebrochenen Augen starrten blicklos gegen die schmutzige Decke des Kellers.
Er war tot.
Ich hatte ihn umgebracht. Äußerlich war er ein Vampir gewesen, seine spitzen Eckzähne galten als deutliches Zeichen, aber als ich ihn jetzt so liegen sah, da dachte ich anders darüber.
Vielleicht hätte ich ihn überhaupt nicht zu töten brauchen! In meinem Magen bildete sich ein Klumpen, und ich mußte ein paarmal tief schlucken, bevor ich mich neben den Vampir niederkniete.
Sein Mund stand offen. Die Haut wirkte grau wie mit Schmutz vermischter Kalk. Das konnte allerdings auch an den Lichtverhältnissen liegen. Ich schob seine Oberlippe zurück und schaute mir den Kiefer an.
Die beiden Zähne waren sehr deutlich zu sehen.
Also doch ein Vampir. Ich hatte mich nicht getäuscht. Allerdings setzte keine Rückverwandlung in einen Menschen ein, der Tote blieb so wie er war.
Ich hörte Schritte auf der Treppe und wußte, daß Suko zurückkam.
Bevor er neben mir stehenblieb, sagte er: »Ich habe die Frau nach oben gebracht. Sie hat einen Schock bekommen.«
»Hast du einen Arzt angerufen?« fragte ich.
»Ja, einen, Doktor Easton.«
Ich nickte und deutete auf den Toten. »Schau ihn dir genau an, Suko. Fällt dir etwas auf?«
Der Chinese bückte sich. »Ich könnte jetzt sagen, er lebt nicht mehr, aber das meinst du bestimmt nicht.«
»Genau.«
»Vielleicht das Blut?«
»Stimmt. Dieser Vampir, Suko, steckte voller Blut. Wie ein Mensch.«
»Aber er war kein Mensch!«
Ich hob die Schultern.
»Menschen sterben, wenn sie sich aufhängen und haben auch nicht diese Zähne.«
»Das schon«, erwiderte ich und schaute mir im Licht meiner Bleistiftleuchte den Hals an. »Keine Bißstellen.«
»Und das bedeutet?«
Ich holte tief Luft. »Daß er ein Vampir gewesen ist, aber kein echter.«
»Tolle Logik.«
»Sicher.« Ich nickte und erhobt mich. »Kannst du mir eine bessere nennen?«
Suko schüttelte den Kopf. »Nein.« Dann murmelte er: »Wenn ich nur wüßte, wie das alles zusammenhängt. Ein Mensch ist zum Vampir geworden, ohne daß man ihn beißt. Verstehst, du das?«
»Im Moment nicht.«
»Aber…?«
Ich begann damit, im Keller aufund abzuschreiten. Meine Stirn hatte sich in nachdenkliche Falten gelegt. Ich überlegte hin und her. Irgend etwas hatten wir übersehen. Die Erklärung lag förmlich in der Luft, aber ich kam nicht darauf.
»Da ist was, Suko«, sagte ich. »Das spüre ich. Wir müssen nur den Faden zwischen die Finger bekommen, an dem alles hängt. Vampire ohne gebissen worden zu sein. An sich, ein Unding, aber trotzdem möglich. Wenn ich nur die richtige…«
»Ich hab’s!«
»Wie?«
Suko, der sonst an sich die Ruhe in Person ist, schaute mich aus glänzenden Augen an. »Erinnere dich mal an die Schönheitsfarm in Paris. Wer hat da die Pillen hergestellt?«
»Drusian!«
»Genau, John. Francis Drusian.«
»Aber der ist tot.«
»Klar. Und seine Pillen? Und Lady X? Sie war auch auf der Schönheitsfarm, zusammen mit den Mannequins. Violetta Valeri, Corinna Camacho und die Scott, das höllische Dreieck, haben den Brand überstanden und sind verschwunden. Lady X hielt sich zurück, während die Valeri und die Camacho den Plan schmiedeten, Nadine Berger umzubringen. [4] Ich bin fast, hundertprozentig sicher, daß Lady X die Vampirpillen eingesackt hat und sie jetzt in Umlauf bringt.« Suko deutete auf den toten Jack Hillary. »Das ist ein Opfer.«
Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen und mußte Suko
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