0210a - Die tödliche Gefahr
Märchen erzählen müssen, um ihn dazu zu bringen, aber das dürfte dir keine Schwierigkeiten bereiten.«
Jetzt stand dem Mädchen die Angst deutlich im Gesicht geschrieben.
»Was hast du vor, Ray?«, fragte sie rasch.
Martinez grinste wieder.
»Keine Angst, Darling. Dem Kleinen passiert nichts. Carpenter wird es sich eine Menge Geld kosten lassen, um seinen Sprössling wiederzusehen. Genug Geld, um eine ganze Weile damit zu leben.«
»Das ist Kidnapping«, erwiderte Pearl Swanson plötzlich ernüchtert. »Bei so etwas mache ich nicht mit.«
Ray Martinez trat die Zigarette sorgfältig auf dem Boden aus.
»Mach keinen Unsinn, Darling«, knurrte er drohend. »Dem Jungen passiert nichts. Es ist bei dir genauso gut aufgehoben wie zu Hause. Er kennt dich ja und macht kein Theater. Das kann man nicht Kidnapping nennen. Wir passen nur eine Weile auf ihn auf.«
Pearl Swanson blickte ihn sprachlos an.
»Nein, Ray, es tut mir leid. Ich mache da nicht mit«, sagte sie leise, aber entschlossen, »So etwas tue ich seinen Eltern nicht an. Die werden ja dabei wahnsinnig. Außerdem steht auf Kidnapping die Todesstrafe.«
Diesmal verschwand das Lächeln aus dem Gesicht Ray Martinez, und plötzlich sah er aus wie ein hungriger Geier.
»Aber du wirst es trotzdem tun, Pearl«, sagte er drohend. »Es gibt für uns keinen anderen Ausweg. Mit achtzig Dollar kommen wir nicht weit. Und was die Todesstrafe betrifft, so macht mir das nichts aus. Die Cops können mich nicht zwei Mal hängen. Wenn sie mich erwischen, dann ist es für mich ohnehin vorbei, und dir blüht auch einiges. Lew Markow wird mich nämlich ein zweites Mal nicht mehr betrügen.«
»Du hast ihn umgebracht?«, würgte Pearl Swanson hervor.
Ray Martinez nickte gleichmütig.
»Was hast du denn erwartet, Darling?«, fragte er gelassen. »Glaubst du denn, ich hätte ihn in die Arme genommen und ihm vergeben? Aber du, Darling, du hast mir verraten, wo ich ihn finden würde, und das kommt der Beihilfe zum Mord gleich. Wenn also die Cops mich schnappen, dann hast auch du nichts mehr zu lachen.«
Pearl Swanson starrte ihn erschüttert an.
»Warum Ray?«, keuchte sie dann. »Warum hast du es getan?«
Ray Martinez zog die Lippen über die Zähne hoch.
»Was verstehst du denn schon davon«, zischte er. »Ich habe mich ein Jahr lang in Mexiko herumgetrieben, habe gehungert und gestohlen, während er hier in New York mein Geld verspielt hat. Ich riskierte eine Zuchthausstrafe und habe dabei nicht einmal einen Cent verdient. Und jetzt blüht mir noch mehr, wenn ich nicht genügend Geld auftreibe, um zu verschwinden. Aber du kannst an nichts anderes denken als an deine sentimentalen Weinereien. Dem Jungen passiert nichts, und sein Alter hat genügend Geld. Er wird ein paar tausend Dollar nicht vermissen. Die zahlt er ohne jede Schwierigkeiten, und wir schicken ihm seinen Sprössling wieder zurück.«
»Aber wenn sie uns dabei erwischen, Ray?«, warf Pearl angstvoll ein.
»Sie werden uns nicht erwischen«, knurrte er. »Dafür sorge ich schon. Und wenn wir uns kein Geld verschaffen können, dann erwischen sie uns viel leichter.«
»Und du versprichst mir, dass Paul nichts passiert?«, forschte Pearl weiter.
Ray Martinez spürte die Wandlung in ihrer Stimme und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Ich verspreche dir, es wird ihm kein Haar gekrümmt. Wenn alles gut geht, ist er heute Abend oder spätestens morgen früh zu Hause, wir haben unser Geld und verschwinden aus New York.«
»Also gut, ich bringe ihn«, entschloss sie sich nach einer Weile. »Aber was soll ich ihm erklären, damit er keine Schwierigkeiten macht?«
»Sag ihm einfach, seine Eltern hätten verreisen müssen, und er soll bis morgen bei dir bleiben«, schlug Martinez vor. »Kinder machen sich darüber keine Sorgen. Es macht ihm vielleicht sogar Spaß.«
Sie nickte, aber ihre Augen vermieden die seinen.
»Und was machst du in der Zwischenzeit?«, erkundigte sie sich.
»Ich muss ein wenig einkaufen«, erklärte er. »Schließlich müssen wir ja etwas essen. Wann bist du mit dem Jungen wieder hier?«
Sie blickte auf die Uhr.
»Er kommt um halb vier aus dem Kindergarten«, meinte sie langsam. »Wenn ich ein Taxi nehme, bin ich eine halbe Stunde später hier.«
»Kein-Taxi!«, erklärte Martinez entschlossen. »Glaubst du denn, ich möchte die ganze Meute der Cops vor der Tür sitzen haben? Nein, du nimmst den Bus. Das dauert zwar etwas länger, aber um diese Zeit holen viele Mütter ihre Kinder
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