0219 - Acht Kugeln für das dritte Opfer
blaß wurde.
»Du brauchst nicht zu erschrecken, Liebling«, murmelte er. »Alfredo kann nicht dabei sein. Es steht doch ausdrücklich drin, daß die beiden Leichen schon mehrere Monate im Wasser gelegen haben. Der eine sogar schon ein halbes Jahr oder noch länger.«
»Mein Gott, das ist ja furchtbar!« sagte Florence. Ihre Stimme zitterte.
»Ja, das ist es«, nickte Crack und rührte in seiner Kaffeetasse. »Es bedeutet nämlich, daß ich von unseren zweiundsechzigtausend Dollar fünfzigtausend einer verdammten Erpresserbande in den Rachen sdimeißen muß. Und wenn so etwas nicht furchtbar ist, dann weiß ich überhaupt nicht mehr, was furchtbar sein soll.«
Florence legte ihre weiche Hand auf seine, die von harten Muskeln durchzogen war und sich anfühlte wie ein Gebilde aus Hartgummi.
»Du willst ihnen das Geld geben?«
Er zuckte die Achseln.
»Hergott, was soll ich denn sonst tun? Du hast es doch gelesen: Unbekannte Tote. Gefunden im Hafen. Mit italienischer Kleidung. Ohne Papiere. Denk mal nach! Genau das würde alles auf Alfredo zutreffen, wenn ihn die Bande umlegen würde. Unbekannter Toter. Gefunden im Hafen. Mit italienischer Kleidung. Und ohne Papiere. Verstehst du endlich?«
»Du meinst, das war dieselbe Bande, die uns den Brief geschickt hat?«
»Ich weiß es nicht. Aber es sieht verdammt danach aus. Kann doch sein, daß diese Brüder das Geschäft ganz groß aufgezogen haben! Illegale Einwanderung, das ist ein Verbrechen, an dem sich ebensogut Geld verdienen läßt wie an anderen.«
»Das mag alles richtig sein«, seufzte Florence, »aber fünfzigtausend Dollar! Wie lange hast du dafür arbeiten müssen, Tom! Mit sechzig waren doch schon über die Hälfte weg. Erinnerst du dich, was wir für Pläne gemacht hatten? Wie wir von den hunderttausend leben wollten?«
Tom Crack stand auf. Sein Gesicht war hart.
»Erinnerst du dich, wie ich immer mit Alfredo gespielt habe, wenn ich deine Eltern besuchen kam?« fragte er. »Der Bengel war damals drei oder vier Jahre alt, glaube ich. Am meisten Spaß hatte er immer, wenn ich ihm mein Uniformkäppi aufsetzte, und er neben mir im Jeep durch die Straßen fahren durfte. Bei jedem uniformierten Mann, der uns entgegenkam, legte der kleine Alfredo das rechte Patschhändchen an das Käppi und grüßte. Ich kam aus dem Lachen manchmal nicht heraus, denn er grüßte sogar die Portiers vor den Hotels, und die sogar besonders stramm, weil sie so viel Gold an ihrer Livree hatten.«
Er schwieg einen Augenblick. Als er fortfuhr, klang seine Stimme heiser.
»Ich weiß verdammt genau, wie ich für das Geld habe schuften müssen, und was ich mir verkneifen mußte, damit ich es zusammenbekam. Aber ich weiß auch, daß ich es mir nie verzeihen könnte, wenn ich eines Tages mit der Polizei ins Schauhaus müßte, und sie würden so ‘ne scheußliche Bahre aus der Wand rausziehen und die rote Gummidecke Zurückschlagen, und ich müßte hinsehen, und es wäre Alfredo. Verdammt noch mal, ich würde keine ruhige Stunde mehr haben. Immer müßte ich dran denken: Du hattest es in der Hand! Fünfzigtausend Dollar waren dir wichtiger. Bei jeder Schachtel Zigaretten, die ich mir kaufen würde, bei jeder Zigarre müßte ich denken: Dafür hättest du Alfredos Leben erkaufen können…«
Florence kam herüber. Sie legte die Arme um seinen Hals und ihren Kopf an seine Brust.
»Ich bin so glücklich«, sagte sie, und er hörte, daß sie dabei weinte. »Ich bin so glücklich, Tom. Du bist ein guter Mann, ein wirklich guter Mann…«
»Ach, Quatsch!« knurrte er. »Aber bei Gelegenheit schnür mal die Kartons oben auf dem Boden auf! Such meine alte Armeepistole heraus. Und ein paar Schachteln mit Munition müssen auch noch dasein.«
Er fühlte, wie sie erschrak. Da legte er seine kräftigen Arme um sie und drückte sie fest an sich.
»Keine Angst«, sagte er ruhig. »Ich will nur nicht, daß sie mich reinlegen. Sie sollen ihre verdammten fünfzigtausend Dollar haben. Aber ich will Alfredo dafür haben — und zwar lebend! Mich legen sie nicht aufs Kreuz! Mich nicht!«
Das sagte Tomas B. Crack. Ein Mann, der wegen Tapferkeit in der vordersten Front viermal ausgezeichnet worden war.
Am 31. Mai war es soweit. Abends um halb acht klingelte in Cracks Wohnung das Telefon. Crack nahm selbst den Hörer und meldete sich.
»Gruß von Alfredo«, sagte eine offenbar verstellte Männerstimme. »Kommen Sie sofort in die Blue Boys Bar in der John Street!«
»Ja, Moment mal«, rief Crack,
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