0219 - Acht Kugeln für das dritte Opfer

den Schrei eines Vogels gehört hatte, war die Eintragung damals unterblieben. Wenn er es jetzt nachträglich meldete, würde der Captain fragen: »Warum steht nichts in Ihrem Wachbuch, Lidders? Glauben Sie, diese Sorte Bücher werden zum Spaß geführt?« Und diese Frage fürchtete er. Deswegen hatte er es bis zur Stunde noch nicht gewagt, von jener Nacht zu erzählen.
    Als er jetzt ausgerechnet auf diesen Pier geschickt wurde, fiel ihm die ganze Sache wieder ein. An dem Kran sollte also ein junger Mann stehen, der nach seiner Beschreibung gut ein Italiener sein konnte. Bestand hier irgendein Zusammenhang mit den beiden Männern, die tot und in italienischer Kleidung aus dem Hafenbecken herausgefischt waren?
    Er schritt schnell aus, und als er den Pier erreicht hatte, sah er den beschriebenen jungen Mann schon von weitem stehen. Der Junge war größer als Lidders und hatte eine imponierende Figur. Mit dem ist womöglich nicht gut Kirschen essen, dachte Lidders. Ich werde meinen Knüppel schön am rechten Handgelenk bauineln lassen, damit ich ihn schnell zur Hand haben kann.
    Langsam bummelte er zu dem Jungen hin. Als er noch fünf oder sechs Schritte von ihm entfernt war, wurde dem Burschen klar, daß die Aufmerksamkeit des Polizisten ihm galt. Er wollte sich umdrehen und verschwinden.
    »Stop!« rief Lidders. »Bleiben Sie stehen, Mann!«
    Zögernd drehte sich der Junge wieder herum. Inzwischen war Lidders herangekommen. Er tippte dem Jungen mit der Spitze des Knüppels gegen die Brust.
    »Wie heißen Sie, Mann?«
    »Teraldi«, sagte der Mann, »Mario Teraldi’«
    »Zeigen Sie mir mal Ihre Papiere!« brummte Lidders.
    Teraldi zog die Stirn kraus.
    »Meine Papiere?« widerholte er gedehnt. »Warum? Ich /habe nichts verbrochen! Oder darf man hier nicht stehen? Ist es verboten, im Hafen ein bißchen spazierenzugehen? He, ist das verboten?«
    Ja, so sind sie, dachte Lidders. Die typischen Italiener: temperamentvoll und gleich in die Luft gehen wegen jeder Kleinigkeit.
    »Nun regen Sie sich doch nicht gleich auf!« sagte er ruhig. »Ich will doch nur einmal Ihre Papiere —«
    Weiter kam er nicht. Der Schlag kam so überraschend für ihn, daß er ihn voll einstecken mußte. Er fühlte, wie in seiner Kinnspitze eine Explosion stattfand, die sich blitzschnell bis in sein Gehirn ausbreitete und es umnebelte. Mit schwindendem Bewußtsein sah er gerade noch, daß der Kerl davonlief…
    ***
    »Puh«, sagte ich, als wir den Block der Smith Houses gegen halb zwölf Uhr vormittags wieder verließen. »Jetzt brauche ich einen Whisky.«
    »Einen?« brummte Phil lakonisch. »Ich brauche einen Doppelten und den Kerl, der Crack umgelegt hat. Dann würde ich mich wieder wohl fühlen.« Wir kippten in der nächsten Drugstore ieder einen doppelstöckigen Whisky und dachten an das, was wir hinter uns hatten. Geschlagene zwei Stunden lang hatten wir versucht, uns mit einer Frau zu unterhalten, der wir erst einmal hatten beibringen müssen, daß ihr Mann ermordet worden war.
    No, bei allen Kalibern, die es gibt, lieber mit einem Burschen anlegen, der dreißig Pfund mehr Gewicht mitbringt als man selbst.
    Wenn Phil nicht dabei gewesen wäre, hätte ich vermutlich nichts von der Frau erfahren. Es gibt Dinge, in denen Phil nicht, zu übertreffen ist. Namentlich in solchen heiklen Situationen. Er trifft manchmal eine Tonart, die Steine zum Reden brächten.
    Nachdem wir schweigend unseren Whisky verkonsumiert hatten, fuhren wir zurück zum Distriktsgebäude. Ich hätte zwar gern noch einen getrunken, aber ein G-man kann' es sich einfach nicht erlauben, sich ans Steuer eines Wagens zu setzen, wenn er Alkohol getrunken hat. (Alle anderen Leute sollten es sich ebenfalls nicht erlauben.)
    Wir gingen sofort zu unserem Distriktschef. Mr. High sah uns gespannt entgegen, als wir bei ihm eintraten.
    »Chef«, sagte Phil und schlenderte mißmutig seinen Hut in einen Sessel, »nach meinem Gefühl sind wir einer dicken Schweinerei auf die Spur gekommen. Lesen Sie mal diesen Erpresserbrief. Wir bekamen ihn gerade.«
    »Es handelt sich wahrscheinlich um illegale Einwanderung aus Italien«, sagte ich erläuternd.
    »Du merkst auch alles«, brummte Phil.
    Wir warteten, bis der Chef gelesen hatte. Er sah auf. Seine Augenbrauen hatten sich zu einem Strich zusammengezogen, der nur von einer steilen Falte über der Nasenwurzel unterbrochen wurde.
    »Setzt euch doch«, sagte er.
    Wir taten es. Phil berichtete kurz von den Ereignissen dieses Vormittags. Als er