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022 - Die wandelnde Tote

022 - Die wandelnde Tote

Titel: 022 - Die wandelnde Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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zurückziehen, als ein leises Zischen aus dem Helm drang. Gleich darauf ließ er sich problemlos anheben.
    Unter dem glänzenden Material kam ein jugendliches Gesicht zum Vorschein. Den kurz geschorenen Kopf bedeckten rote Haarstoppeln, seine Schläfen wiesen zwei kreisrunde Abdrücke auf. Die verzerrte Miene kam Aruula merkwürdig bekannt vor. Überrascht starrte sie zu dem Hünen hinüber, der seinen brummenden Schädel rieb, aber nicht die Kraft zum Aufstehen hatte. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war frappierend. Vermutlich waren sie Brüder.
    Ehe sie eine Frage stellen konnte, ent- spannten sich die verzerrten Züge des Helmträgers plötzlich. »Danke«, flüsterte er, bevor sein Kopf leblos zur Seite sackte.
    Verwirrt sah die Barbarin zu Navok, der ungeduldig von einem Bein aufs andere trat.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Aruula mehr sich selbst.
    Die Augen des Nosfera funkelten unter der Lederkapuze wütend auf.
    »Ist mir völlig egal. Der Kerl ist tot! Nimm dir endlich seinen verdammten Anzug; er braucht ihn nicht mehr!«
    Aruula wollte dem Rat folgen, hielt aber in der Bewegung inne. Plötzlich fühlte sie ein seltsames Verlangen, den Helm aufzusetzen. Es war wie ein lautlose Aufforderung, die jede Faser ihres Körpers zum Vibrieren brachte. Sie versuchte zu schlucken, doch in ihrer Kehle schien plötzlich ein Seeigel zu stecken.
    Navok dauerte das Ganze zu lange. Hastig öffnete er die Kleidung des Toten und zerrte sie von dessen hagerem Körper. »Nun hilf mir schon!«, herrschte er Aruula an.
    Die Barbarin ignorierte ihn. Sie wirkte völlig teilnahmslos, als ob sie nicht weiter interessieren würde, was um sie herum vor sich ging.
    Navok zog das Silbergewand von den Armen des Toten, ohne auf das knirschende Geräusch der gebrochenen Knochen zu achten.
    Aruula bekam davon nichts mit, sondern starrte fasziniert auf die silberne Schale in ihrer Hand.
    Setz ihn auf!
    Der Drang, den Helm überzustülpen, wurde unwiderstehlich, aber noch setzte sich etwas in ihr instinktiv gegen das Begehren zur Wehr.
    Setz ihn auf!
    Ihr Verstand schien in einen weichen Federberg zu versinken. Irgendwie fühlte sie sich lethargisch, nur noch von einem Wunsch beseelt. Setz ihn auf.
    Schließlich konnte sie dem Bedürfnis nicht länger widerstehen. Vorsichtig führte sie den Helm über ihren Kopf. Es wirkte wie eine rituelle Handlung, als wäre sie eine Monarchin, die sich von eigener Hand krönte. Sobald die glatte Innenwand ihre Haare berührte, presste sich etwas zischend gegen ihre Schläfen.
    Der brennende Schmerz riss Aruula aus ihrer Lethargie. Plötzlich wusste sie, dass sie einen schweren Fehler gemacht hatte - doch es war zu spät!
    Eine Flut fremder Gedanken brach über sie hinein, als ob ihr eigenes Bewusstsein ertränkt werden sollte. Aruulas Körper versteifte sich vor Schmerz. Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch der fremde Wille war stärker.
    Es war ein lautloser Kampf, den Navok nicht bemerkte. Das Gewand des Toten in Händen richtete er sich auf - nur um beim Anblick der maskierten Barbarin zu erstarren. Seine Lippen verzogen sich im Schatten der Kapuze zu einem Grinsen. »Glaubst du wirklich, das reicht, um dich unkenntlich zu machen?«
    Navok sah, das Aruula zitterte, dachte sich aber nichts dabei. Schließlich war es trotz des sonnigen Wetters recht frisch. Er wollte ihr den Anzug reichen, doch ein bestürzter Schrei ließ ihn herumfahren.
    »Nein!«, brüllte der untersetzte Kerl mit den roten Zöpfen, der in dem Fischnetz zappelte.
    Navok sah verlegenen auf den Anzug in seinen Händen. »Stell dich nicht so an, wir brauchen den Fetzen nötiger als der Tote.« Er hatte eigentlich um Verständnis bitten wollen, aber irgendwie kam es wieder recht zynisch über seine Lippen.
    Der vor Angst bebende Fischer hörte sowieso nicht zu. Seine Gesichtszüge waren zu einer bizarren Maske erstarrt. Während er verzweifelt bemüht war, sich aus dem Netz frei zu stram- peln, deutete er mit zittrigem Finger auf Aruula.
    »Sie trägt den Helm«, keuchte er. »Sie ist jetzt eine wandelnde Tote!«
    Navok verstand kein Wort. Aber es war nicht zu übersehen, dass der Einheimische wahre Todesängste ausstand. Aus irgendeinem Grund schien der seltsam geformte Helm große Be- deutung für die Menschen in Plymeth zu haben. Der Nosfera öffnete seine mentalen Sinne, um die Gedanken des Rotschopfs zu erforschen.
    Vielleicht erfuhr er so, was eigentlich los war. Es war eine instinktive Handlung. So wie ein normaler

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