022 - Jagt die Satansbrut
sich jetzt noch immer müde.
Mißmutig verließ er die Bank und trat auf die Straße. Sonst mochte er Zürich recht gern, doch der graue Herbsttag ließ es so trostlos wie London erscheinen. Das ausgezeichnete Essen hob seine Stimmung etwas. Dorian war nur in wenigen Dingen ein Brite; beim Essen zog er eindeutig den Kontinent vor.
Als sie das Restaurant verließen, lugte die Sonne zwischen den Wolken hervor, und seine Laune besserte sich. Er kaufte auf dem Bahnhof einige Zeitungen, dann bestiegen sie den Zug. Außer ihnen war niemand im Abteil. Nach Zürich fing es zu regnen an. Die Welt schien in Regenschauern zu versinken.
Weder Coco noch Dorian hatten Lust auf eine Unterhaltung. Coco versenkte sich in die österreichischen Zeitungen, die Dorian gekauft hatte. Doch ihre Gedanken irrten immer wieder ab. Sie dachte an ihre Jugend, an ihre Eltern, an das Leben in der Schwarzen Familie. Irgendwie vermißte sie ihre Heimatstadt. Als sie in Wien gelebt hatte, war ihr die Stadt wie ein Dorf vorgekommen, doch jetzt sehnte sie sich gelegentlich sehr zurück. London war eine fremde Welt für sie. Sie mochte die Briten nicht besonders und sie vermißte den Wiener Dialekt.
Unwillkürlich mußte sie lächeln, und Dorian sah sie prüfend an.
»Was ist los?« fragte er.
»Nichts Besonderes. Du würdest es nicht verstehen.«
»Raus damit!«
»Ich habe gerade in der Kronen-Zeitung das Heitere Bezirksgericht gelesen. Das ist im Dialekt geschrieben. Und da habe ich mich plötzlich nach Wien zurückgesehnt. Ich will die Kärtnerstraße mal wieder entlanggehen und einen Heurigen trinken.«
Dorian lächelte. »Ich kann dich sehr gut verstehen. So geht es den meisten Menschen. Alle sehnen sich zurück nach dem Ort, wo sie aufgewachsen sind. Mir geht es nicht anders. London hängt mir zum Hals heraus, aber jedesmal, wenn ich zurückkomme, freue ich mich. Das unverständliche Englisch der Taxifahrer, die vertrauten Straßen. Ich sauge alles förmlich in mich hinein. Doch nach ein paar Stunden ist der Zauber verflogen, und ich sehe London wieder mit anderen Augen. Ich verspreche dir, wir fahren demnächst nach Wien. Willst du?«
Coco nickte. Und plötzlich war wieder das alte Gefühl da. Das Eis war gebrochen. Sie lächelten sich vergnügt an.
Coco las ihm Ausschnitte aus dem Heiteren Bezirksgericht vor. Dorian bekam nur Bruchteile mit, obwohl er recht gut Deutsch verstand. Die Zeit verflog, und sie waren überrascht, als der Zug in Buchs stehenblieb.
Es dämmerte, als sie den Bahnhof verließen. Von Buchs nach Vaduz waren es nur wenige Kilometer. Sie nahmen ein Taxi, und es wurde rasch dunkel. Die Scheinwerfer des Wagens fraßen sich durch die Nacht. Von der Umgebung war nichts zu sehen.
Der Taxifahrer kannte sich ausgezeichnet in Vaduz aus. Ohne Mühe fand er Rosqvanas Villa, die etwas außerhalb lag. Es handelte sich um ein altes, erst vor kurzer Zeit renoviertes zweistöckiges Haus, das inmitten eines großen eingezäunten Gartens lag.
Der Fahrer holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum, und Dorian bezahlte ihn. Er wartete, bis das Taxi gewendet hatte, dann trat er an den Zaun und stellte sich auf die Zehenspitzen, konnte aber nicht über den Zaun blicken. Nach kurzer Suche fand er den Klingelknopf und drückte drauf. Einige Sekunden geschah nichts, dann schnappte die Tür auf.
Coco ging voraus. Dorian nahm die Koffer auf und folgte ihr. Ein schnurgerader Weg, der mit winzigen Lampen erhellt wurde, führte zum Haus. Links und rechts standen hohe Bäume und Sträucher. In einigen Fenstern des Hauses brannte Licht. Der Weg war mit Natursteinen ausgelegt. Ihre Schritte hallten ungewöhnlich laut. Die Luft roch würzig, und es war kühl geworden.
Die Eingangstür stand halb offen, und Coco stieß sie weiter auf. Angenehme Wärme schlug ihnen entgegen. Sie traten ein, und Dorian stellte die Koffer ab und sah sich um. Die Diele war mit alten Barockmöbeln eingerichtet. Eine dreiflammige Lampe neben einem hohen Spiegel verbreitete mattes Licht.
Aus einer breiten Tür trat eine junge, ungewöhnlich hübsche Frau. Sie war klein und vollbusig. Blondes Haar fiel auf ihre schmalen Schultern. Ihr Gesicht war bleich und nicht geschminkt.
»Guten Abend!« sagte sie und kam langsam näher.
»Wir werden von Herrn Rosqvana erwartet«, sagte Dorian.
Sie nickte. »Herr Rosqvana wird sie in einer Stunde empfangen. Ich zeige Ihnen in der Zwischenzeit Ihre Zimmer.«
»Ist Herr Helnwein hier, Ilse?« fragte Coco, die das Mädchen von ihrem
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