022 - Jagt die Satansbrut
umklammerte die Pistole. Er ließ die Pistole los, als er Helnwein erkannte, der ins Zimmer trat. Seit ihrem letzten Zusammentreffen hatte sich der Alte verändert. Sein Haar war noch immer voll und dicht, doch die Falten und Runzeln in seinem Gesicht waren tiefer geworden. Seine Haut war fahl, fast durchscheinend. Der graue, unansehnliche Anzug schlotterte um seine schmalen Schultern.
»Dachte ich mir doch, daß ich Sie hier finden würde.« Helnweins Stimme klang hohl.
»Wo ist Rosqvana?« fragte der Dämonenkiller.
Helnwein hob die Schultern und ließ sie langsam sinken. »Ich weiß es nicht.« Dann wandte er sich Coco zu. »Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen.«
»Sehr lange nicht«, sagte Coco, der ebenfalls Helnweins verändertes Aussehen aufgefallen war.
»Sie wollen sich wohl den Drudenfuß so aneignen, Dorian?«
Der Dämonenkiller gab keine Antwort. Er musterte noch immer den Alten. Schließlich drehte er sich halb um und sah den Drudenfuß an. Dabei fiel sein Blick auf den Rokokospiegel dahinter. Deutlich sah er sich und Coco. Doch Helnwein war nicht im Spiegel zu sehen.
Der Dämonenkiller schloß einen Augenblick die Augen, dann riß er sie weit auf und wandte den Kopf herum. Helnwein stand vor ihm, da war jeder Zweifel ausgeschlossen. Er trat einen Schritt auf Helnwein zu und blickte auf den Boden. Cocos und sein Schatten waren auf dem Teppich zu sehen, doch Helnweins Körper warf keinen Schatten.
Helnwein war das Opfer eines Vampirs geworden. Im Unterschied zu den echten Vampiren waren die Opfer empfindlich gegen Tageslicht, und ihre Körper warfen keine Schatten und waren nicht in Spiegeln zu sehen.
Der Dämonenkiller machte sich Vorwürfe, daß er Helnwein hergeschickt hatte; aber möglicherweise war der alte Mann schon vorher das Opfer eines Vampirs geworden.
Coco und Dorian wechselten einen Blick.
Dorian las in Cocos Augen das Entsetzen. Auch ihr war nicht verborgen geblieben, daß der Alte zu einem Blutsauger geworden war.
»Rosqvana will den Drudenfuß verkaufen«, sagte Helnwein. »Über den Preis konnten wir uns noch nicht einigen. Aber er wird hoch sein.«
»Wie hoch?« fragte Dorian.
»Fünfzigtausend Franken etwa.«
»Das ist zu viel.« Dorian ließ sich nicht anmerken, daß ihm Helnweins Zustand aufgefallen war. »Ich werde mir den Drudenfuß einmal näher ansehen.« Er öffnete die Klappe. Sicherheitshalber holte er sein Taschentuch heraus und band es sich um die linke Hand. Langsam streckte er die Hand aus. Sie erreichte den Drudenfuß – und fuhr durch ihn hindurch.
Von der Tür her ertönte höhnisches Gelächter. Dorian wandte den Kopf herum. In der Tür stand ein hochgewachsener Mann. Er trug einen schwarzen Anzug. Sein Haar war lang und ungewöhnlich hell. Die Hände waren knöchern und feingliedrig. Sein Gesicht war ein fahles Oval, in dem die Augen wie Kohlenstücke glühten. Der Mann verbeugte sich leicht.
»Herzlich willkommen! Mein Name ist Thören Rosqvana.«
Dorian öffnete den Mund überrascht, hob die rechte Hand und ließ sie wieder sinken. Er hatte Rosqvana sofort erkannt; er war ihm schon früher begegnet, doch damals hatte er einen anderen Namen geführt.
Vidal Campillo. 1508.
Rosqvana alias Campillo kam näher. Er blickte den Dämonenkiller an, dann lachte er wieder. Und sein Blick wurde starr und durchdringend. Vor Dorian begann sich alles zu drehen. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er glaubte, in einen unendlichen Abgrund zu fallen, und seine Erinnerung an eines seiner früheren Leben kehrte zurück.
Vergangenheit
Ich warf mich hin und her. Fieberschauer schüttelten meinen Körper. Gedankenfetzen. Erinnerungen. Bruchstückhaft und verschwommen.
Einmal war mein Name nicht Juan de Tabera gewesen, sondern ich hatte in Frankreich unter dem Namen Nicolas de Conde gelebt. Ich hatte das ewige Leben gewollt und es bekommen. Ich war unsterblich geworden. Ich war einer der Mitbegründer der Inquisition gewesen. Ich hatte den Tod meiner Frau und meiner Kinder verschuldet.
Die Erinnerung an mein vergangenes Leben quälte mich. Ich konnte keine Ruhe finden. Mein Körper schmerzte, und ich hatte unerträglichen Durst. Mühsam rappelte ich mich hoch und blieb mit zittrigen Knien stehen. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Es konnte Tage oder Wochen her sein, seit ich mich in dieser stinkenden Zelle aufhielt. Nach dem ersten kurzen Verhör durch Usero Abellan war ich nicht mehr aus der Zelle gekommen. Anfangs hatte ich gebrüllt, doch
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