022 - Schreie aus dem Sarg
Wochen die guineische Öffentlichkeit – und auch
das europäische Ausland – stark beunruhigen.« Er zeigte dem immer noch
skeptischen und zweifelnden Franzosen eine vom guineischen Innenminister
unterschriebene Urkunde, die seinem Ausweis beilag und die ebenfalls sein
Lichtbild trug.
Luison warf nur einen flüchtigen Blick darauf.
Die Erscheinung des Amerikaners bedeutete ihm mehr, und ihm war längst
klargeworden, dass er von diesem sportlichen jungen Mann, der ihm sofort
sympathisch war, nichts zu fürchten hatte.
»Ich bin den ganzen Abend schon in Ihrer Nähe. Während meines Aufenthaltes
im Polizeiquartier von Conakry, wo ich heute Abend eintraf, bekam ich die Sache
mit, die sich im Hotel abgespielt hatte. Ich befand mich unter den Passanten,
die sich um die Stelle drängten, an der Ihre Tochter angeblich aufschlug. Ich
war in Ihrer Nähe, als Sie Ihre Gattin ins Krankenhaus brachten, und ich folgte
Ihnen hierher ins Haus.«
Luison zuckte die Achseln. »Warum das alles? Seit wann ist meine Person so
wichtig?«
»Für uns ist jeder wichtig, der bedroht und in seiner Existenz oder in
seinem Leben gefährdet ist, Monsieur«, entgegnete X-RAY-3 leise. »Alles spricht
dafür, dass Ihre Familie bedroht ist. Durch ungewöhnliche und äußerst
komplizierte Vorstellungen. Ich kenne das Gerede von den Gnamous , und ich habe mich auch ausführlich im Ministerium nach
dieser Geheimgruppe, die ausschließlich Weiße terrorisiert, erkundigt. Man ist
dort sehr daran interessiert, diese Verbrecherorganisation auszuheben. Guinea
fürchtet Rückschläge auf seine Entwicklung, Rückschläge in seinen Beziehungen
zu anderen Ländern. Man ist an höchster Stelle schockiert, dass sich diese
Gruppe sogar Gnamous nennt. Das ist
ein ehrenwertes Wort aus der Sprache dieses Volkes, es bezeichnet die
Zeremonienmeister, die – durch Masken konkretisiert – die Heiligen Tänze und
Rituale in den verschiedenen Stämmen durchgeführt haben.« Larry unterbrach sich
und warf einen Blick auf den jungen Afrikaner, der noch immer reglos am Boden
lag. Er war nur mit einer khakifarbenen Hose bekleidet. Sein Oberkörper war
nackt.
»Sobald er zu sich kommt, werden wir uns mal anhören, was er zu sagen hat,
Monsieur Luison«, fuhr X-RAY-3 fort. »Bauchreden konnte er ganz gut. Mal sehen,
ob er auch das andere kann. Ich befand mich auf dem Balkon im oberen Stock und
habe ihn genau beobachtet. Er stand hinter der angelehnten Tür und muss sich
köstlich amüsiert haben, dass Sie so angestrengt auf die Strohpuppe starrten,
aus deren Bauch offenbar seine Stimme erklang. Dann bemerkte er mich. Er
huschte wie eine Raubkatze davon. Ich sprang sofort vom Balkon herab und konnte
ihn noch erwischen. Er rannte genau in meine Faust. So massiv war der von mir
berechnete Schlag nicht vorgesehen gewesen.«
Der Franzose warf einen Blick auf den Afrikaner. »Aber das Ganze ist keine
Scharlatanerie«, murmelte Luison dumpf, als hätte er die Worte, die Larry noch
eben gesprochen hatte, gar nicht mitbekommen. Er warf einen Blick auf seine
blutverschmierten Hände. »Es ist Farbe «,
bemerkte der Amerikaner. »Man hat Sie schön an der Nase herumgeführt. Man
wollte Sie erschrecken. Wäre ich nicht dazwischengekommen, wer weiß, wie Ihre
Reaktionen sich weiterentwickelt hätten.«
Er hob den Afrikaner vom Boden auf, warf ihn sich wie einen Mehlsack über
seine breiten Schultern und folgte dem Franzosen die Treppenstufen zum oberen
Stock.
Dort legte er den Bewusstlosen kurz entschlossen in den Sarg, den
Unbekannte in der Mitte des Zimmers der verschwundenen Nanette Luison
aufgestellt hatten, und betrachtete die Strohpuppe und die unheimliche Maske,
die auf dem Boden lag.
»Die Maske eines Gnamous «, sagte
Larry. Das Gebilde war schon sehr alt, Farbe und Holz blätterte davon ab.
Offenbar glaubten diejenigen, die es hierhergeschafft hatten, dass dieser
uralten Maske gewisse Zauberkräfte innewohnten. Die afrikanischen Dschungel
hatten manches unheimliche und dämonische Ritual erlebt, und noch heute graust
es manchem Europäer, der die Geschichte der verschiedenen Stämme kennt, vor dem
Wirken und den Kenntnissen der Zauberpriester und Medizinmänner.
»Das Ganze sieht aus wie eine Scharlatanerie«, wiederholte Larry Brent fast
die Worte des Hausbesitzers. »Aber es ist keine. Davon müssen wir ausgehen. So
ungewöhnlich und ungeheuerlich die Worte unseres bewusstlosen Bauchredners auch
sein mögen: Hinter allem steckt blutiger Ernst, Monsieur Luison! Die
Weitere Kostenlose Bücher