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riss die Augen auf und starrte den Mann an, den er so lange, wie er sich erinnern konnte, den Bastard und den FitzGilbert nennen gehört hatte. „Um Vergebung, Sieur", brachte er hochroten Gesichtes heraus, „denn ich habe niemanden dich feige nennen gehört."
„Nein, niemand von uns will sterben", erwiderte Roger freundlicher, „und alle von uns werden sterben. Ich möchte dich nur daran erinnern, dass das im Kampf vielen Männern viel zu schnell passiert. Sei vorsichtig, wenn du kämpfst, Piers." Roger wandte sich Aubery zu und befahl ihm, den Jungen in sein Zelt zu bringen.
Nachdem der größte Teil der Menschenmenge sich zerstreut hatte und zur jeweiligen Schlafstelle zurückgekehrt war, ging Roger unter den Toten umher. Er beugte sich über eine Leiche, einen jungen Mann, dessen Bauch mit einer Axt aufgeschlitzt
worden war. „Jesus!" murmelte er. „Aber es muss die Hölle sein, so zu sterben." Der Mund des Burschen war immer noch von den Todesqualen verzerrt. Roger hockte sich hin, schlug das Kreuz über dem wächsernen Gesicht des jungen Mannes und murmelte ein Gebet für die Toten. „Möge der allmächtige Gott eure Seelen zu sich nehmen und euch Frieden gewähren. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen." Angesichts des Todes fühlte Roger sich hilflos.
Er ging zu jeder Leiche und wiederholte das Ritual bis hin zum letzten Toten, und dann wanderte er ziellos durch die warme, sternenklare Nacht am äußeren Rand des Lagers entlang. Es schien alles so sinnlos zu sein - diese Überfälle, auf die dann neue Überfälle der Gegenpartei erfolgten, Gewaltakte, die nur Leben kosteten und nichts klärten. Sein Fall, nein, Eleanors Fall, war immer noch an einem toten Punkt.
Eleanor war so nahe und dennoch so weit entfernt, dass sie ebenso gut in Byzanz hätte sein können. Er musste Robert unbedingt aus dessen Burg locken. Er musste das tun, nicht nur, weil er sich nach Eleanor sehnte, sondern weil er nicht einmal ertragen konnte, daran zu denken, was sie durch Belesmes Hände zu erleiden hatte.
Rastlos hob er einen Stein auf und schleuderte ihn flach über die Erde.
„Halt! Wer dort?"
„Hier ist Roger, Herr der Condes."
„Gott schütze dich, Sieur!" erwiderte die Wache.
Eigenartigerweise hallten die Worte des Mannes Roger im Gedächtnis wider, und plötzlich kam ihm die Erleuchtung. Er hatte die Mittel, Robert aus der Burg zu locken, falls er die Willenskraft hatte, sie zu verwenden. Er war Eleanors verschworener Streiter, und bei Gott, er würde Gerechtigkeit widerfahren lassen oder dabei sterben. Mit neuer Entschlusskraft kehrte er den Weg zu seinem Zelt zurück.
Er traf Piers und Aubery dabei an, wie sie bei seinem Schachbrett saßen, beinahe so, wie er und Henry das getan hatten, als sie beide noch im Dienst des Eroberers gewesen waren. Er stellte sich hinter den grün gekleideten Jungen, beugte sich vor und machte einen Zug mit dessen König.
„Vielen Dank, Sieur. Ich beherrsche das Spiel nicht sehr gut, wenngleich ich schon früher mit Graf Robert gespielt habe. Er zieht es jedoch vor, jetzt, da Eleanor de Nantes da ist, mit ihr
zu spielen." Plötzlich bemerkend, dass er mit ihrem Gatten sprach, errötete er und murmelte: „Um Vergebung, Sieur."
„Nein, ich möchte mehr über Eleanor hören", antwortete Roger leise. „Siehst du sie oft?"
„Ich diene ihr, Sieur. In Belesme sind keine Zofen, und es obliegt mir, mich um die Herrin zu kümmern. Ich habe, da sie jetzt hochschwanger ist, gelernt, ihr das Haar zu richten, doch meistens singe ich für sie, spiele für sie auf der Laute und leiste ihr Gesellschaft, wenn sie das will."
„Aber es geht ihr gut?"
„Ja. Sie hatte Fieber, und wir glaubten, wir würden sie verlieren, doch sie hat sich erholt. Das Kind macht ihr große Mühe, denke ich, doch sie beklagt sich nicht. Vor der Belagerung hat Graf Robert alle Arten von Delikatessen für sie herbeischaffen lassen, um ihren Appetit anzuregen. Aber sie ist nicht glücklich. Nichts, was er tut, kann sie glücklich machen."
„Würdest du eine Nachricht zu ihm bringen?" Roger bemerkte das Zögern des Jungen und erklärte hastig: „Ich schwöre, das ist keine List. Ich biete dir deine Freiheit, damit du zurückkehren kannst, falls du die Kunde überbringst, dass ich mit Belesme verhandeln will."
„Ja, aber er wird dir nicht trauen."
„Er kennt mich. Ich denke, er wird mir trauen, wenn du ihm sagst, was ich will. Ich möchte mit ihm auf dem freien Feld unter
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