0222 - Schlucht der stummen Götter
alles daranzusetzen, um den Schlüssel in die Finger zu bekommen.
Mir sollte keiner vorschreiben, wann und wo ich die Leichenstadt zu betreten hatte. Das wollte ich selbst entscheiden.
Deshalb schüttelte ich den Kopf. »Vor Kalifato habe ich keine Furcht, ich werde mir den Schlüssel von dir holen, darauf kannst du dich verlassen.«
»Das wagst du nicht!« schleuderte mir das Skelett entgegen.
»Du wirst es erleben!« Ich hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als ich bereits das rechte Bein vorsetzte und auf den Rücken eines Mannes stieg. Das hört sich brutal an, doch anders wußte ich mir nicht zu helfen. Es gab einfach keinen Weg, der mich an den Leibern vorbeiführte, ich mußte über sie hinwegsteigen.
Seltsam erschien mir nur, daß das blaue Skelett nichts unternahm, es ließ mich einfach gehen und blieb selbst auf dem Fleck stehen, als hätte sich nichts verändert.
Wenn es nach mir ging, sollte das für den Dämon ein tödlicher Irrtum werden.
Rechts hatte ich das Kreuz. Meine Beretta steckte in der Halfter, aber ich besaß noch den Dolch und vor allen Dingen den silbernen Bumerang.
Wenn es mir gelang, ihn zielsicher zu schleudern und das Skelett damit in zwei Hälften zu teilen, hatte ich schon sehr viel gewonnen.
Optimistische Vorsätze, die mich durchströmten und mir die Kraft gaben, weiterzugehen.
Ich stieg über die Leiber hinweg, wobei ich mich bemühte, nur auf die Körper der männlichen Personen zu steigen. Frauen und vor allen Dingen Kinder wollte ich damit nicht belasten.
Ich spürte keine Reaktion. Da bewegte sich niemand, da klang kein Stöhnen auf, die Menschen blieben still, so daß meine Befürchtung, es mit Toten zu tun zu haben, neue Nahrung bekam.
Den direkten Weg konnte ich nicht einschlagen. Manchmal ging ich nach rechts, glich durch eine entgegengesetzte Richtung wieder aus und wechselte außerdem das Kreuz in die linke Hand.
Das Skelett hatte es dabei sehen müssen, aber es reagierte nicht einmal. Meine innere Spannung erreichte langsam den Siedepunkt.
Jetzt war es nicht mehr weit bis zu meinem Gegner. Einen Griff benötigte ich nur, dann hatte ich den Bumerang aus dem Gürtel gezogen. Dabei ließ ich das Skelett nicht aus den Augen und schaute auch auf den geheimnisvollen Kristall, der aus seinen beiden knochigen Händen wie ein langer dicker Bleistift ragte.
Ich blieb stehen.
»Du kannst dich noch entscheiden«, sagte das blaue Skelett plötzlich. »Entweder für oder gegen mich.«
»Dagegen!« rief ich, hob den Arm und holte aus. Ich würde ihm den Schädel absensen, ich…
Im gleichen Augenblick umschlossen fünf Finger mein rechtes Handgelenk…
***
Der Wurf wurde gestoppt. Ich kam nicht mehr dazu, meinen Bumerang auf die Reise zu schicken, denn die Hand war wie ein Ring aus Eisen. Hart, beinahe schon brutal griff sie zu, und diese Klammer war für mich nicht zu lösen.
Ich wollte es zwar nicht, doch ich konnte nicht vermeiden, daß ein Stöhnen aus meinem Mund drang und meine Augen feucht wurden.
Der Griff lockerte sich nicht, und dann wurde ich mit einem Ruck nach hinten gezogen.
Was ich da erzähle, hört sich so lang an. Tatsächlich aber spielte sich die Szene innerhalb von einer Sekunde ab. Dem plötzlichen Ruck konnte ich mich nicht entgegenstemmen, so daß ich nach hinten fiel und mir zudem noch die Beine weggetreten wurden. Damit verlor ich endgültig den Halt und auch den Kontakt.
Zu Boden fiel ich nicht, sondern prallte auf die Leiber der durcheinanderliegenden Menschen.
Und in diesem Augenblick sah ich zum erstenmal, wer mich an dem Wurf gehindert hatte.
Suko!
Ich hatte es mir gedacht, geahnt, aber ich wollte eigentlich bis zum Schluß daran zweifeln und es nicht glauben, doch nun hatte ich die endgültige Gewißheit bekommen.
Suko stand voll auf der anderen Seite.
Ich hatte nicht nur Jane Collins verloren, jetzt auch noch den Chinesen, meinen Freund, der dieser unheilvollen Magie zum Opfer gefallen war, wobei ich nicht wußte, ob er jemals wieder…
Weitere Gedanken machte ich mir nicht darüber, denn ein stechender Schmerz wühlte in meinem Handgelenk, er fand seinen Weg bis zur Pfanne der rechten Schulter.
Ich ließ den Bumerang fallen.
Bevor er die anderen Leiber berühren konnte, griff Suko geschickt mit der freien Hand zu und nahm ihn an sich. Er stand zwar auf der anderen Seite, aber er hatte sich nicht so verändert, als daß er den Bumerang nicht hätte anfassen können. Also war er zu keinem echten Dämon geworden,
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