0223 - Sie würfelten um unser Leben
der den gleichen Weg hatte.
Der Mörder sah nach der Armbanduhr. Ungefähr noch eine Stunde musste es dauern, bis sein Opfer das Haus verließ. Das schwache Plopp, in das der Schalldämpfer den Schuss verwandelte, würde nicht auffallen. Wahrscheinlich würden Passanten sehen, wie der Mann zusammenbrach, und sie würden an einen Herzanfall oder ähnliches denken. Bis sie erkannten, dass der Mann erschossen worden war, würden Sekunden verstreichen, die für Gess Sunder kostbar waren.
Zehn Minuten vor acht ließ Sunder den Motor des Chevrolets an. Er richtete sich ein wenig auf, schob die rechte Hand unter den Koffer, legte die Finger auf den Griff der Pistole und ließ den Blick nicht mehr von der Tür des Hauses, in dem sein Opfer wohnte.
***
Solange ich beim FBI arbeite, habe ich Enttäuschungen genug erlebt, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Fall so hoffnungslos festgefahren gefunden zu haben wie diesen hier. Im Allgemeinen findet sich rasch das Motiv für ein Verbrechen, und wenn man erst einmal das Motiv kennt, so dauert es nicht mehr lange bis zur Entdeckung des Mörders.
Hier schien alles sinnlos zu sein, angefangen von Melroys Mordversuch bis zum traurigen Ende von Lil Reeswen. Die vierzehn Tage, die der Chef mir für die Nachforschungen bewilligt hatte, waren längst vergangen. Der Mord an dem Mädchen aus dem Hawaii Nightclub hatte ihn zwar bewogen, noch einmal acht Tage zuzulegen, aber auch diese acht Tage waren so gut wie vorbei, und als ich Mr. High gestern traf, hatte er gesagt: »Ich glaube, Jerry, es ist besser, wir lassen diese Angelegenheit jetzt ruhen. Nehmen wir Melroys Unternehmen als das, was es wahrscheinlich war: ein verspäteter Racheakt; und überlassen wir die Untersuchung des Mordfalles an Lil Reeswen Inspektor Seeman. Das FBI hat andere, wichtigere Aufgaben für Sie.«
Nichts hasse ich mehr, als eine Sache abgeben zu müssen, von der ich das Gefühl habe, dass sie noch lange nicht erledigt ist. Aber schließlich bezahlt das FBI mich nicht dafür, dass ich meinen Privatvergnügungen nachgehe. Der Chef hatte noch eine Serie von Banküberfällen, eine hässliche Geschichte, in der das Marineministerium eine Rolle spielte, und ein paar im Süden aufgetauchte falsche Fünfdollarnoten auf Lager, für die er dringend Beamte benötigte.
Als ich an diesem Morgen vor dem Rasierspiegel stand, beschloss ich, die Suche nach dem Unbekannten, der nach meiner Meinung Melroy die Kanone in die Hand gedrückt hatte, aufzugeben. Wenn dieser Unbekannte, vorausgesetzt, es gab ihn überhaupt, so scharf darauf war, mich aus der Welt zu schaffen, so würde er nach Melroy einen anderen finden, der sein Glück an mir versuchte.
Wenn das geschehen war, dann konnte ich die Untersuchung wieder aufnehmen, falls ich diesen zweiten Versuch überlebte.
Kurz nach acht Uhr ging ich die Treppe hinunter. Ich öffnete die Haustür und wollte den Bürgersteig überqueren, um zum Jaguar zu gelangen, der praktisch genau der Haustür gegenüberstand. Ich blieb aber in der Haustürnische stehen, nahm das Zigarettenpäckchen aus der Tasche, steckte mir eine ins Gesicht und suchte dann nach den Streichhölzern.
Als die Zigarette brannte, warf ich das Streichholz weg, und ich hob dabei den Kopf und sah in die Richtung, in die ich das Streichholz warf.
Ich sah auf der anderen Straßenseite und in einer Entfernung von etwa fünfzig Yards einen blauen Chevrolet stehen. Ich sah hinter dem Steuer den Hut und das Gesicht eines Mannes, und ich sah auf dem Rand der Fensteröffnung einen kleinen schwarzen Punkt.
Auf fünfzig Yards Entfernung sieht eine Pistolenmündung nicht anders aus als jeder beliebige schwarze Gegenstand von etwa der gleichen Größe. Aber ich habe in so viele Pistolenmündungen geblickt, dass ich sie vermutlich auf eine halbe Meile Entfernung von jedem anderen Gegenstand unterscheiden könnte.
Alles geschah schneller, als ich es erzählen könnte. Ich ließ mich einfach nach vorne von den Treppenstufen auf den Bürgersteig fallen. Ich rollte mich um meine eigene Achse, um in die Deckung des Jaguars zu gelangen.
Ich hörte keinen Schuss und dachte schon, mich geirrt zu haben, aber dann ratschte eine Kugel den Mörtel von der Wand der Türnische, und zwar genau dort, wo sich vor Sekundenbruchteilen noch mein Kopf befunden hatte. Im Liegen fischte ich die Smith & Wesson aus dem Halfter, richtete mich auf den Knien auf und nahm die Nase über die Kühlerhaube hoch.
Drüben auf der anderen
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