0223 - Sie würfelten um unser Leben
Fleck auf der weißen Gaze gebildet.
»Gess Sunder«, sagte ich ruhig, »in drei Wochen wirst du wegen Mordes und Mordversuchs vor dem Richter stehen. Ich habe selten einen Burschen auf diesem Stuhl, auf dem du jetzt sitzt, gesehen, der so wenig Aussichten hatte, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen wie du.«
Er hob den Kopf. Die blicklosen Augen waren auf mich gerichtet.
»Das werden wir sehen«, knarrte er. Seine Stimme war klanglos und rau.
»Jeder Mensch macht sich bis zu dem Augenblick Illusionen, in dem der Scharfrichter den Hebel für den elektrischen Kontakt umlegt«, antwortete ich. »Solche Illusionen nützen nichts. Der Hebel wird umgelegt! Verlass dich darauf! Du kannst den Mordversuch an mir nicht leugnen. Ich selbst bin der Zeuge, der vor Gericht beschwören wird, dass du in dem Wagen gesessen hast, aus dem geschossen wurde; dass du die Kanone in der Hand hieltst, dass du es warst, der zu fliehen versuchte und den ich verfolgte. Aber selbst ohne mein Zeugnis wärst du verloren. Da ist deine Kanone, und unsere Chemiker und Physiker werden feststellen, dass die Kugeln, die mich treffen sollten, aus dieser und keiner anderen Waffe abgefeuert wurden. - Da ist der Koffer, der neben dir gefunden wurde, gefüllt mit Einbruchs- und Mordwerkzeugen, und da sind zehntausend Dollar, die du als Henkerslohn erhalten hast.«
»Und da ist die Fotografie eines Mädchens, das ermordet wurde«, ergänzte Phil.
»Ich kenne das Girl nicht einmal«, sagte Sunder. »Ich habe keine Ahnung, ob sie tot ist, oder ob sie ’ne Million in der Lotterie gewonnen hat. Es interessiert mich auch nicht.«
»Warum trägst du dann ihr Bild mit dir herum?«
»Ach, weiß der Henker. Ich habe es irgendwo einmal gesehen, und weil’s mir gefiel, habe ich es mir geben lassen. Ich wusste nicht einmal, dass es sich noch in meinen Taschen herumtreibt.«
Phil lächelte.
»Wer hat es dir gegeben?«
»Kann mich nicht genau erinnern. Ich glaube, es war ein Kellner in irgendeiner Bar.«
»Hier in New York oder in Chicago?«
»Nein, es war in Chicago, aber frag mich nicht, wie der Laden hieß. Ich habe es vergessen. Ich muss damals schon ziemlich blau gewesen sein.«
»Lil Reeswen war nie in Chicago. Sie hat nie einen Job in dieser Stadt gehabt. Wie soll ihr Bild dorthin gekommen sein?«
Sunders Antwort war nur ein Achselzucken.
»Sprechen wir noch ein wenig über deine heutigen Zielübungen«, übernahm ich wieder das Verhör. »Wer hat dich dafür bezahlt?«
»Beweist mir erst einmal, dass ich überhaupt geschossen habe. Schön, ich gebe zu, dass ich den Wagen gestohlen und dass ich ihn gefahren habe. Der Bursche, der mich dafür anheuerte, sagte mir nicht, dass er scharf darauf war, einen G-man umzulegen. Ich dachte, es handele sich um ’ne harmlosere Angelegenheit. Er sagt mir, er wolle jemanden beobachten, und ich…«
»Du machst dich mit deinen Lügen lächerlich, Gess«, unterbrach ich. »Es gab keinen zweiten Mann in dem Chevrolet. Ich habe jedenfalls niemanden außer dir gesehen. Aber schön, nehmen wir an, ich hätte nicht richtig hingesehen und deinem angeblichen Beifahrer sei es gelungen, irgendwo während der Verfolgung auszusteigen, ohne dass ich es bemerkt hätte. Du hast also den Wagen gefahren?«
»Ja.«
»Und wo saß der Unbekannte?«
»Im Fond.«
Ich zog ein Blatt Papier aus der Schreibtischschublade, zeichnete mit wenigen Strichen eine Skizze darauf und schob sie Sunder hinüber.
»Sieh dir das an, mein Junge! Hier bin ich aus dem Haus gekommen. Dort stand der Chevrolet auf der anderen Straßenseite. Ein Mann, der vom Fond aus auf mich hätte schießen wollen, hätte durch das Fondfenster feuern müssen, denn die hinteren Fenster dieses Chevroletmodells lassen sich zwar aufstellen, aber nicht herunterkurbeln. Das Fenster hätte also ein hübsches rundes Loch bekommen müssen.«
»Na und?«, fragte er aufsässig zurück. »Der Wagen ist ein Trümmerhaufen. Wie wollt ihr feststellen, ob das Fenster ein Loch hatte oder nicht?«
»Du hast dir den Trümmerhaufen nicht richtig angesehen, Sunder. Es ist erstaunlich, was manchmal die Scheiben eines Autos überstehen. Das linke hintere Fondfenster ist jedenfalls noch intakt, und es hat nicht das geringste Loch. - Denk dir eine andere Lüge aus, eine, die mehr Aussichten hat, von den Richtern geglaubt zu werden!«
Ich wusste genau, warum ich auf die sinnlosen Lügen des Mannes einging. Je mehr Ausflüchte er machte, die sich dann als vergeblich erwiesen, desto
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