0224 - Nur der Satan kennt Manhattan
Moses!«, sagte ich. »Sei nicht geizig. Heute ist Weihnachten und die Geschenke werden verteilt.«
»Meinetwegen«, lallte Phil mit schwerer Zunge und stand unsicher auf.
Wir zogen unsere Seesäcke einen Schritt näher an die Hintertür. Aller Augen ruhten auf uns. Wir knüpften die Knoten der Verschnürung auf und zogen die Seesäcke oben auseinander.
Es ging so schnell, wie es sich nicht beschreiben lässt. Im selben Augenblick, als wir die Maschinenpistolen aus den Seesäcken rissen, hob der Matrose draußen vor der Tür seine großkalibrige Waffe und schoss eine grüne Rakete in die Luft. Eine halbe Sekunde später krachte mein Fuß gegen das Schloss der Tür. Die Tür flog nach innen auf.
Phil stürmte vor mir hinein und lief nach links. Ich folgte ihm dicht auf den Fersen und stürmte nach rechts.
»FBI!«, gellte Phils Stimme laut durch die plötzliche Stille. »Alle Mann Hände hoch! Keine verdächtigen Bewegung! Hände hoch!«
Hinter uns, aus dem vorderen Raum der Kneipe, drang die Stimme von Bloyd Stevenson. Metallisch hart schnitt sie durch die jähe Stille: »Alle Mann sitzen bleiben! Wir sind keine Matrosen, wir sind G-men! Sitzen bleiben! Das ganze Haus ist umstellt! Hände hoch und keine Bewegung.«
Ich hörte es gleichsam nur mit halbem Bewusstsein. Denn vor uns saßen fünf Männer rings um einen Tisch und sahen uns verdattert an. Auf dem Tisch lag eine Skizze. Sie sah von Weitem aus wie der Grundriss eines Hauses.
Zögernd krochen ihre Arme in die Höhe. Aber auf einmal warf sich der Bursche herum, der mir bisher halb den Rücken zugewandt hatte. Ich sah schemenhaft den Lauf einer Pistole matt schimmern, riss meine Tommy Gun hoch und zog durch.
Es sah aus, als würde er von ein paar unheimlich schnell hintereinander erfolgten Peitschenhieben durchgeschüttelt. Seine Hände pressten sich auf seinen Leib. Die Pistole fiel zu Boden. Es hörte sich überlaut an, als sie auf den nackten Fußboden krachte.
Zur Tür drängten drei oder vier Kollegen herein. Ich legte die Tommy Gun auf die Seite und fing den Mann auf, der von seinem Stuhl herab nach vorn stürzte. Vorsichtig ließ ich ihn zu Boden gleiten.
»Wer bist du?«, fragte ich, als mir klar wurde, dass er noch bei Bewusstsein war und mich anstarrte.
»Mamasson«, stieß er hervor. »Aber freut euch nicht zu früh… ich wa-ar der Boss… aber ich… war trotzdem ni… nicht der Boss…«
»Was soll das heißen?«, fragte ich.
Sein Atem kam stoßweise.
»Der Plan wa… war nicht von mir…«
»Von wem denn?«
»Weiß nicht… ein Mann,… habe ihn… nie… gesehen… schickte mir den Plan mit der Post… nachdem ich… ihm versprochen hatte… dass er ein Drittel…«
Massons Körper wurde von einem Krampf geschüttelt. Gleich darauf erschlafften seine Glieder. Über seine Augen ging der Hauch des Todes.
***
Als wir Mr. Highs Zimmer betraten, wandte er uns den Rücken zu. Wir warfen uns einen verwunderten Blick zu. Schweigend blieben wir stehen. Das Wichtigste hatten wir ihm schon unterwegs über Funk berichtet. Jetzt sollte er, wie üblich, den genauen Bericht mit allen Einzelheiten hören.
Aber es sah nicht so aus, als ob er Interesse daran hätte.
Sein Gesicht sah um Jahre gealtert aus. Die Augen waren gerötet, als ob sie sich entzündet hätten. Um die Mundwinkel hatten sich dünne, scharfe Falten eingegraben. Seine schlanken Künstlerfinger zerrten unruhig aneinander.
»Vor zwanzig Minuten hat der Richter das Urteil verkündet«, sagte er. Seine Stimme klang wie die eines völlig Fremden.
»Neville wurde zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt…«
Zuerst fühlte ich gar nichts. Dann war auf einmal ein eiskalter, schwerer Klumpen in meinem Magen. Und meine Knie schienen aus Gummi zu sein. Ich musste mich gegen die Schreibtischkante stützen.
»Das war kein Ende«, sagte Mr. High. Seine Stimme klang scharf und fast zischend. »Das war kein Ende oder es ist auch mein Ende! Dieses Urteil wird ein Anfang sein. Ein Anfang, das schwöre ich!«
Ich ließ mich in den nächsten Sessel fallen. In meiner Kehle würgte es. Ein trockenes Schluchzen kam über meine Lippen. Ich sah Nevilles gutes, altes Gesicht vor mir. Es war mir, als kralle sich eine stählerne Faust um mein Herz.
ENDE des ersten Teils
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